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Jeder ist seine eigene Show

Szene-Bars und andere Zeichen: Das urbane Spiel mit Identitätssplittern beherrschen Christoph Frick und Jordy Hadarek genauso wie ihr Regiehandwerk. Als Duo Klara sorgen sie dafür, daß das Schweizer Off-Theater auch im Kanton Deutschland bemerkt wird  ■ Von Tobi Müller

Die Krönung“ von Klara war ein Kaspar-Hauser-Projekt und wurde 1997 für das Berliner Theatertreffen nominiert. Eine freie Gruppe aus der Schweiz, geleitet von zwei Süddeutschen, kurz vor dem Durchbruch?

„Kurz vor dem Durchbruch“ zu stehen ist vielleicht ein Schweizer Dauerzustand. Die Metapher aus der Welt des Tunnelbaus fand in der eidgenössischen Musikbranche eine Zeitlang rege Verwendung, wobei es stets mehr um das „kurz vor“ als um den „Durchbruch“ ging. Inzwischen gibt es immerhin ein paar Verbindungen von der Schweiz zum Rest der Welt. Zwischen Schaffhausen und Hamburg verkehren Post-Indie- Rocker (Eugen, Aeronauten), und wenn man das Ohr auf die elektronische Schiene Zürich–Berlin legt, vernimmt man mit Glück ein minimaltechnoides Echo aus Köln (etwa von Voigt und Brinkmann).

Im Theater hingegen tut man so, als hätte es die Tunnel schon immer gegeben. Wahrscheinlich, weil in diesem Bereich halt alle ein bißchen Hochdeutsch sprechen. Stefan Bachmann und Christoph Marthaler beispielsweise wurden beide in Berlin entdeckt. Beide sind nett, irgendwie knuffig, der eine sogar ein bißchen sexy. So wie man sich Schweizer eben vorstellt im übergroßen nördlichen Kanton. In der Regel gestaltet sich das Schweizer Theaterdasein aber mehr als stilles Buddeln im eigenen Garten.

Neben den konventionellen Stadttheatern und den großen Drei (Theater Basel, Schauspielhaus Zürich und Theater am Neumarkt) in der Deutschschweiz gibt es jedoch ein paar wenige freie Gruppen, die eigene Theatersprachen entwickelt haben: die Off-off- Bühne in Zürich, das Theater Club111 aus Bern und am konsequentesten wohl Klara aus Basel. Sie alle sind zwischen fünfundzwanzig und Ende Dreißig, die wenigsten durchschritten konventionelle Laufbahnen im staatlichen Theaterbetrieb, viele Köpfe verdingten sich erst mal in anderen Branchen (Architektur, Musik, bildende Kunst).

Die Rebellion gegen die Institution Theater, welche in Deutschland oft innerhalb ihrer selbst und mit ihr kompatibel stattfindet, rückt dadurch in den Hintergrund. Die Kritikergilde mag dann mangelnde Sprechtechnik oder chargierende Schauspieler monieren. Aus der Perspektive des haut théatre ist das zu verstehen. Klara aus Basel sind wohl die einzigen, welche die Grätsche hier schaffen: Ihre Arbeiten halten immer wieder dem Blick der Theaterfundis stand, andererseits sprechen sie aber auch ein breiteres Publikum an, das sich eher für seine eigenen Befindlichkeiten als für Theaterranglisten interessiert.

Sie sind kein Paar, aber Klara ist ihr Kind

Doch wie gesagt, 1997 waren Klara nah dran, an der Zehnerliste der Berliner Talentspotters. Bis zur Bonner Biennale haben sie sich einmal gegraben, zweimal schon zum „impulse“-Festival in Nordrhein-Westfalen. Und jetzt erheben sie den Wettbewerb gar zum Thema: „Die Konsequenz des Wettbewerbs ist die Show“ heißt die neueste Produktion, die soeben in Zürich herausgekommen ist.

Christoph Frick und Jordy Haderek (beide 38) leiten mit dem „Wettbewerb“ bereits die siebte selbstentwickelte Klara-Produktion seit 1991. Sie sind kein Paar, aber Klara ist ihr Kind. Ohne Zweifel, nach außen sind die Rollen familientauglich verteilt: Frick redet gerne und pressetauglich über das Unternehmen, während die stillere Haderek Kritischeres anmerkt und oft vermittelt.

Das Regieduo aus der Region Stuttgart reiste Anfang der Achtziger in das Tessin und besuchte die Scuola Teatro Dimitri. Clown Dimitri ist in der Schweiz eine Legende, seine Schule hat in Theaterkreisen aber nicht den besten Ruf. Das Alternativen- oder 68er-Bashing in den letzten Jahren trug dazu bei, daß Abgänger der körperbetonten, artistischen und „poetischen“ Schule später ihre Herkunft nicht gleich erwähnen. „Dimitri-Schiene“ heißt es dann schnell.

Obwohl: Nach verschiedenen Regie- und Schauspieljobs in der freien Szene zwischen Zürich und Basel und vier Klara-Abenden folgte 1997 mit „A Poet who is also an Orang-utan“ eine Art existentialistische Clown-Revue. Nur, diese fünf Clowns waren finstere Gesellen, wollten sich Glieder ausreißen und einander Elektroschocks verpassen, bloß um den Lacher doch noch zu kriegen. Gut fünfundvierzig Minuten hielten sie das aus, dann mußten wir sie aushalten: Warteschlaufen und quälende Wiederholungen sollten wundgeklopfte Schenkel heilen.

Mit „Klara“, der namengebenden Produktion Ende 1991, trat die Gruppe noch äußerst erfolgreich in einen nationalen Diskurs ein. Die Eidgenossenschaft versuchte, ihre mutmaßlichen siebenhundert Jahre mit einem verstörten, teilboykottierten Kulturbetrieb zu feiern. „Eine einfache Geschichte“ war „Klara“ – so der behauptende Untertitel von „Pola“ (95), der dritten Klaraproduktion – und doch eine ganz und gar grausliche. Aber eine Geschichte immerhin. Die Bergwelt, wo die Milch noch Milch, der Hund noch Hund heißt und nicht alle Bedeutungen querschießen, zeigte sich in einer klaren, aber unerbittlichen Tragik: Das war eher die schmerzende Föhnlage als nur die nebelumwehte Lächerlichkeit, die der Stoff so leicht böte.

Die nachfolgenden, bereits emsig Tournee-erfahrenen Produktionen verweigern die Geschichte dann immer mehr. Bei „1000 Chancen“, dem letzen Klara- Abend im vergangenen Frühjahr, scheint die Geschichte als Gerüst nur noch im Plural auf. Beim gemeinsamen Tischtennisspiel mit zu wenig Schlägern sind die Mittdreißiger so wahnsinnig nett, daß der Ball einfach nicht ins Spiel kommen kann. Später fallen biographische Anekdoten in den Raum wie Konfetti, das man rasch vom Ärmel wischt. „Jetzt geht's los“, schreien alle enthusiasmiert und händeringend – und es bleibt doch nur beim Versuch, etwas in Gang zu bringen.

Der frühere Clown-Abend markierte einen Wendepunkt hin zu einem Theater, das die Befindlichkeit einer Post-Generation-X in der Schweiz recht genau trifft. „1000 Chancen“ (1998) und der bevorstehende „Wettbewerb“ verlassen die kammerartig anmutende Situation der vorausgehenden Abende und arbeiten mit mehr Schauspielern, was das immerwährende Klara-Projekt des „mehrschichtigen Erzählens“, der Gleichzeitigkeit verschiedener, tanzhafter Aktionen auf der Bühne erleichtert.

„Die Konsequenz des Wettbewerbs ist die Show“ handelt von urbanen Subjekten, die ihre popkulturell zusammengestückelte Identität als Show begreifen. Zehn Schauspieler geben sich hemmungslosen, von Halbwissen durchzogenen Labergesprächen hin, die nie verhandeln, was sie vorgeben. Die Räume sind nur angedeutet, alles ist einsehbar: Das private wie das halböffentliche einer Party, die zum neoliberalen Härtetest mutiert. Man sieht – wie in „1000 Chancen“ schon – laufend Menschen, die den Boden unter den Füßen verlieren, die es aus Sofas herausschletzt, nachdem sie in einem Verhör versagen: Wer drei von vier genannten Szene-Bars nicht kennt, wird freundlich herausgebeten, an die Ränder des Sagbaren, wo im Instabilen neue Ordnungen entstehen. Dann rücken sie Tische hin und her, verstellen Stühle und strecken Teppiche.

Klara bauen sich seit Jahren ihre eigenen Verweistunnel, wollen nirgendwo durchbrechen, aber vielleicht ein System schaffen, wo jeder Punkt mit jedem irgendwie verbindbar ist. Das ist manchmal unübersichtlich – Cybertheoretiker würden jetzt „rhizomatisch“ sagen –, aber spannend für jene, die auch im Theater mal rumsurfen wollen. Diese vermeintliche Beiläufigkeit der Zeichen und Ordnungen fallen auf in einem Land, in dem die letzten fünfundzwanzig Jahre Theater vielerorts spurlos vorübergegangen sind.

Aber halt: „Jetzt geht's los“, schreit das ganze Land enthusiasmiert, wartet auf den bärtigen Christoph und küßt die Füße des süßen Stefan in Basel. „Alles wird gut“, verkündete eine bunte Schrift vor fünf Jahren an einem besetzten Haus neben dem Zürcher Hauptbahnhof. Wenig später wurde das Haus abgebrochen. Basel steht noch. Aber Bachmann ist ja auch kein Autonomer.

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