Hollywood in Babelsberg

Für Leander Haußmanns Film „Sonnenallee“ wurde in Babelsberg die Mauer wiederaufgebaut. Jetzt beginnt der Dreh in der größten Außenkulisse seit der Wende  ■ Von Kerstin Kohlenberg

Beinahe wäre Leander Haußmann in die Fußstapfen von Billy Wilder getreten. Als der nämlich 1961 seine Ost-West-Komödie „Eins, Zwei, Drei“ drehte, kam ihm prompt der Bau der Mauer dazwischen. So richtig lachen konnte da keiner mehr. Weder die Berliner über eine Ost-West-Komödie noch Wilder, der nun nicht mehr im Osten drehen durfte. Leander Haußmann hatte, 37 Jahre später, ein ähnliches Problem. Nur jetzt war die Mauer weg, und er hätte sie ganz gerne wiedergehabt.

Einen Film über die „Sonnenallee“ hatte sich Haußmann, der sonst eher als Intendant am Bochumer Theater zu finden ist, in den Kopf gesetzt. Genauer, über Jugendliche in den 70ern in Ost- Berlin. Und dafür brauchte er natürlich die Mauer. So richtig lachen wollte wieder mal keiner. Die Mauer nachbauen? Ganze Straßenzüge für Wochen sperren? Den Anwohnern Hausverbot erteilen? Probleme, über die Haußmann heute wieder lachen kann. Denn sie steht, die Mauer in Potsdam- Babelsberg.

Das Studio Babelsberg hat den Bau übernommen. Der größte Außenkulissenbau auf dem Gelände der alten DEFA-Studios seit der Wende. Ein richtiger Ostberliner Kiez ist am Rande der Filmstadt entstanden. Mit Stacheldraht, Wachturm, bröckelder Fassade, Kiosk und 70er-Jahre-DDR-Neubauten.

Damit auch alles so authentisch wie möglich wirkt, mußte Lothar Holler her. Der Szenenbildner ist zusammen mit Architekt Joris Harmann für die Gestaltung der Kulisse verantwortlich. „Unsere Aufgabe ist es, diese Atmosphäre von Niemandsland kurz vor der Mauer rüberzubringen. Da war die Welt zu Ende, da machte sich niemand mehr die Mühe, ein Haus zu renovieren.“

Lothar Holler war so begeistert von Thomas Brussigs Drehbuch, daß er auf der Stelle, noch in der Kneipe, auf der Rückseite eines anderen Drehbuchs mit den ersten Skizzen begann. Brussig hat vor drei Jahren mit „Helden wie wir“ so etwas wie den ultimativen Roman zur Wende geschrieben. Er kennt sich also aus auf dem Gebiet.

Normalerweise findet Lothar Holler historische Filme ungeheuer langweilig. „Aber hier erzählen zwei Leute, nämlich der Leander und Thomas Brussig, von ihrer eigenen DDR-Teenie-Zeit. Die zeigen, daß das, was sich hinter der Mauer abspielte, trotz widriger Umstände spannend und komisch war.“

Holler, der schon über 100 Filme ausgestattet hat, ist sozusagen Experte auf dem DDR-Gebiet. In Ost-Berlin aufgewachsen und an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ausgebildet, ist er selbst oft genug nachts über die hubbeligen Ostberliner Gehsteige gestolpert, die aus Versorgungsnot aus den unterschiedlichsten Steingrößen zusammengepflastert wurden. Jetzt stanzt er genau diese Unebenheiten, die ihm früher die ein oder andere Schuhspitze versaut haben, planvoll mit einer Schablone in den frisch gegossenen Asphalt. Und als Holler in den 70ern sein Atelier einrichten wollte, hat er Wochen damit verbracht, an den VEB-Mustertapeten vorbeizukommen. Heute fahnden seine Requisitenspürhunde nach genau jenen unsäglichen Tapeten. Je schauriger die Erinnerung, desto echter die Requisite.

Die Grenze in den Westen dagegen kennt Holler nicht so gut. „Eher so die Übergänge nach Polen und in die Tschechoslowakei.“ Wie die Bewohner von Haußmanns „Sonnenallee“, konnte auch er den Westen nur durch eine 4711-Leuchtreklame erahnen. Also mußte noch ein Experte her. Ein Mauerexperte. Über die Mauergedenkstädte Bernauer Straße fand Holler schließlich Hagen Koch. Der Ex-Stasi-Offizier kennt die Mauer beinahe besser als sich selbst. Er war es, der die erste weiße Linie am Checkpoint Charlie zog, um den Verlauf der Mauer zu markieren, und nach seinem Ausstieg aus der Stasi wurde er unter Lothar de Maizière zum DDR- Mauerbeauftragten ernannt. Er verschenkte und verkaufte Abschnitte der Mauer. Privat hortete er alles, was mit der Mauer zu tun hat.

1.084 Panoramafotos, die den kompletten Verlauf der Mauer dokumentieren, graphische Darstellungen der Sicherheitssysteme ebenso wie Honeckers Planungen für die „Mauer 2000“.

Lothar Holler hat „seinen“ Grenzbergang anhand von Kochs Archiv rekonstruiert. „So wie die ,Sonnenallee‘ hier wiederaufgebaut wird, gab es sie in Wirklichkeit natürlich nicht. Sie ist eine Art Konzentrat aus allen Grenzübergängen, die auch noch die günstige Filmperspektive beachtet.“ Die Wirklichkeit mußte sich den Studiobedingungen unterordnen. Alles wurde auf den Raum eines halben Fußballfeldes zusammengefaßt. Da stehen die Wachhäuschen auch schon mal etwas dichter, als es eigentlich der Fall war. „Wichtig war mir zu zeigen, wie die Grenze organisiert war. Das war ja eine richtige Arbeitsstelle des Mißtrauens. Die Gebäude waren so angeordnet, da sich die Grenzer gegenseitig bewachen konnten.“

Von hinten betrachtet, sieht die „Sonnenallee“ dagegen aus wie ein riesiger Setzkasten. Auf feste Stahlträger sind abnehmbare Holzfassaden montiert, an denen überall Holzkästen hängen, die an Baumhäuser erinnern. Die Baumhäuser heißen „Motiv Mario“ oder „Dekoration Micha“ und sind nicht zum Spielen geeignet. Mit einer Spanplatte zugenietet, darf in der Fensterdeko von Motiv Mario nichts verrutschen. Die Topfpflanze ist angetackert, die Gardine gemalt. Manche Baumhäuser sind ein bißchen größer, damit auch die DDR-Film-Teenies nachts mal aus dem Fenster steigen können. Für die Innenaufnahmen wurden in richtigen Wohnungen in Prenzlauer Berg gedreht.

Die Kulisse ist so konzipiert, daß nach dem Haußmann-Dreh alles umgebaut werden kann. Für 3,5 Millionen Mark will das Studio Babelsberg einen Hauch von Hollywood nach Potsdam bringen. Vor die Stahlpfeiler können die unterschiedlichsten Holzfassaden gehängt werden. Dann kann das, was jetzt noch nach „Sonnenallee“ aussieht, schon bald in eine amerikanische Straßenschlucht umgewandelt werden. Mit der flexiblen Filmperspektive erhofft sich das Studio wirtschaftliche Perspektiven von internationalen Ausmaßen.

Am Donnerstag beginnen nun die ersten Dreharbeiten in der Babelsberger Kulisse. Mit Detlev Buck als Abschnittsbevollmächtigten. Zu lachen gibt es da bestimmt einiges.