: „Schäuble ist nicht die Führungsfigur der CDU“
■ Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter über einen zufriedenen Helmut Kohl, die neue Lagerrivalität und die Zukunftsperspektiven der Christdemokraten nach der großen Niederlage
taz: Warum schaut Kohl trotz Wahlniederlage zur Zeit so zufrieden aus?
Franz Walter: Ohne zu wissen, was in Kohls Kopf vorgeht, kann ich seine Zufriedenheit ganz gut verstehen. Er ist froh, daß die Union nicht zum Juniorpartner in einer Großen Koalition wird, denn da profitiert meist nur der stärkere Partner, also die SPD. Außerdem bekommt Kohl jetzt, was er sich im Wahlkampf immer vergeblich gewünscht hat: die Lagerrivalität mit Rot-Grün. Für die Union ist das die ideale Konfrontation. Sie kann daraus innere Geschlossenheit ziehen und einen neuen Kick bekommen, zumindest in den Ländern ihre Defizite der letzten 16 Jahre wieder wettzumachen.
Aber in einer Großen Koalition wären ihr zumindest ein paar Ministerposten erhalten geblieben. Trotzdem hat die Union diese Option noch am Wahlabend ausgeschlossen. Ist ihr nach 16 Jahren an der Regierung der Appetit auf die Macht vergangen?
Nein, die CDU ist ja eine heterogene Partei mit tiefen Spannungen. Gerade für sie ist die Macht das entscheidende disziplinierende Instrument, um den Laden zusammenzuhalten. Und ich denke, daß es für die Union in den Ländern die Chance auf Macht gibt. Ihre Nachwuchskräfte tummeln sich in den Ländern und lechzen schon seit Jahren nach einem Sprungbrett, um sich auch bundespolitisch durchzusetzen. Das ist ähnlich wie bei der SPD in den 80er Jahren: Der Machtverlust in Bonn ist die Voraussetzung, auf Länderebene wieder zu Kräften zu kommen.
Die Niederlage der SPD 1983 machte den Weg frei für Brandts Enkel von Lafontaine bis Schröder. Ist jetzt die Stunde der Enkel Helmut Kohls gekommen?
Wahrscheinlich. Ich glaube zum Beispiel nicht, daß Wolfgang Schäuble den Generationswechsel bei der CDU vollziehen und in den nächsten Jahren die unbestrittene Führungsgestalt der Union sein wird. Obwohl er in den letzten Wochen der Liebling der Medien geworden ist, wird er eher eine Funktion übernehmen, wie sie Hans-Jochen Vogel in der SPD nach dem Wahlsieg Helmut Kohls hatte. Er ist ein Repräsentant des Übergangs, der den Laden halbwegs zusammenhalten soll.
Was heißt das für die Enkel?
Diejenigen, die jetzt bei der Union in den Startlöchern hocken, rechnen längst mit einer Zeit jenseits von Schäuble. Untereinander werden sie dann möglicherweise die gleichen Probleme haben wie die SPD-Enkel in den 80er Jahren. Wulff in Niedersachsen, Koch in Hessen, Beust in Hamburg, Müller im Saarland sind als CDU-Landes- oder Fraktionsvorsitzende alle im gleichen Alter, kommen aus der gleichen Sozialkultur. Die rivalisieren natürlich miteinander. Statt des monolithischen Systems Kohl wird es eine Reihe von Machtzentren in der CDU geben. Zugleich bedeutet das ein Führungsproblem. Bei der SPD hat sich gezeigt, wie lange es dauert, ehe sich aus dieser Rivalität ein Leitwolf herausbildet, der von allen in der Partei akzeptiert wird. In der CDU ist ein natürlicher Leitwolf dieser Generation noch nicht erkennbar.
Sie sagten, die CDU ist von ihrem Willen zur Macht zusammengehalten worden. Welche programmatischen Bruchlinien sehen Sie in der CDU nach dem Machtverlust?
Es ist auffällig, daß in der CDU ganze Lebenswelten auseinanderfallen. Die einen sind begeisterte Vereinsmeier, regelmäßige Kirchgänger, treue Ehepartner, brave Sparer und seßhafte Gesellen. Die anderen sind die berühmten hochmobilen, säkularisierten und hedonistischen Single-Individualisten, wie sie angesprochen werden von den sogenannten Jungen Wilden. Außerdem ist eine wichtige Klammer des konservativen Bürgertums weggefallen: der Antisozialismus. Damit franst das bürgerliche Lager politisch nach mehreren Seiten aus.
Sind denn die Verluste der Union Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels? Weht der Zeitgeist links?
Da bin ich eher mißtrauisch. Aber die sozialliberale Kohorte, die in den 60er und 70er Jahren geprägt wurde, bildet inzwischen die Kernschicht der Bevölkerung, also die Generation der Eltern, der Berufstätigen, der mittleren Eliten. Sie bildet tatsächlich die Mitte der Gesellschaft, und mit dieser Mitte konnte Kohl überhaupt nicht kommunizieren. Seine Sprache, sein Habitus, seine Begrifflichkeit liefen da voll daneben.
Hat also Kohl die Wahl verloren?
Nicht allein. Das große Problem der CDU war, daß sie erstmals seit sehr langer Zeit den Mainstream nicht mehr angesprochen hat. Wenn sie polemisierte, der Fischer sei früher Straßenkämpfer gewesen, dann kam das bei der neuen Mitte nicht an, weil die früher auch etwas linker und radikaler war. Hinzu kam, daß die Union eingeklemmt war zwischen Teilen der wirtschaftlichen Eliten, denen die neoliberalen Reformen nicht scharf und zügig genug gingen, und andererseits Rentner und ängstliche Kleinbürger die Sorge hatten, daß die Veränderungen bereits viel zu weit gehen. Interview: Patrik Schwarz
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