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Die zwanzigfache documenta-Liste

■ Gestern eröffnete am Funkturm das dritte „art forum berlin“

Noch immer ist eine Kunstmesse in Berlin ein riskantes Geschäft. In Köln sind die Standpreise niedriger, in Basel ist die Atmosphäre angenehmer, und New York ist immer noch New York, selbst wenn man dort die Messe in einem Hotel veranstaltet. Als vor drei Jahren das „art forum“ gegründet wurde, hatte man vor allem die Hoffnung, mehr Galerien aus dem Osten anzuziehen. Dieser Versuch ist parallel zur russischen Wirtschaft gescheitert: Gerade mal drei Moskauer Galerien haben in diesem Jahr Standflächen gemietet, um den Hundeperformer Oleg Kulik oder Anatolij Shuravlevs Ikonenfotografie zu zeigen.

Gleichzeitig hat das bis zum 4. Oktober dauernde „art forum“ gute Voraussetzungen. Dank berlin biennale, der „Sensation“-Ausstellung im Hamburger Bahnhof und der nonchalanten Schweizer Kunst in der Akademie der Künste kann man parallel zur Messe an die zweihundert KünstlerInnen, über die Stadt verteilt, in den diversen Institutionen und Museen sehen. Wer sich für Thomas Hirschhorns karge Ensembles aus Alufolie interessiert, findet gleich an drei Galerieständen neues Material; und wer wissen will, was Jonathan Meese macht, wenn er nicht gerade die Räume im Postfuhramt dichtbastelt, bekommt bei Contemporary Fine Arts eine ganze Ladung mit Fotos, Zeichnungen und Postern nachgeliefert.

In Zahlen bedeutet das: 146 Galerien, 22 beteiligte Länder und an die 2.500 KünstlerInnen im Namensregister – das ist bald das Zwanzigfache der documenta-Liste. Am Ausgang hat man allerdings schon 2.000 davon wieder vergessen und dennoch ein paar Neue kennengelernt. Zum Beispiel David Cerny, der für die Prager Galerie Jiři Svestka seinen Körper in Einzelteilen abgegossen hat und das Selbstportrait nun als Bausatz anbietet. Oder Spencer Tunick, der bei der New Yorker I-20 Gallery ausstellt. In US-amerikanischer „Peace Movement“- Tradition hat Tunick Aktionen mit Hunderten von nackten Menschen durchgeführt, die sich für seine Fotos auf kalifornische Straßen oder die Wiesen von Maine legen.

Besonders interessant ist natürlich auch der Stand von Samuelis Baumgarte aus Bielefeld. Die Galerie hatte vor dem Berliner Landgericht im August die Aufnahme zur Messe erzwungen, weil „die Grundlagen der Auswahlentscheidungen nicht mit hinreichender Klarheit in den Teilnahmebedingungen verarbeitet sind“, wie es in der Begründung heißt. Dem allgemeinen Schnitt schadet die Einzelausstellung von Ugo Dossi nicht, der Planeten hinter Acrylglas malt und dann mit holographischem Schmuckpapier verziert.

Tatsächlich ist es einigermaßen beruhigend, nicht mehr wie im letzten Jahr von Stand zu Stand über Unmengen von Fotokunst zu stolpern. Die Aufregung um Arakis verschnürte Erotik-Akte hat sich gelegt, und Cindy Sherman ist mittlerweile gar nicht mehr vertreten. Wer trotzdem noch fotografiert, bevorzugt allerdings Baustellen und städtische Leerflächen, was nach dem vierten, fünften Projekt auch ein wenig trübe wirkt. Im Gegenzug kann man sich beim art club Berlin auf kinderzimmerfarbenen Spielzeugmöbeln von Flora Neuwirth über aktuelle Videokunst informieren – Fashion Shows inklusive.

Die Messeleitung liebäugelt derweil mit Großunternehmen. Schon in der Einleitung zum Ausstellungskatalog ist viel von Mäzenen und „Corporate Museums“ die Rede, werden Imagepflege und Sammlungskonzepte von Daimler Benz bis Deutsche Bank zitiert. Im Gegenzug hat die Berliner Baufirma Groth & Graalfs einen Paul- Cassirer-Preis für junge Kunst ausgeschrieben. Er geht an Monica Bonvicini und Liam Gillick. Harald Fricke

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