: Liebe folgt auf Bruch
Love Is The Devil“: Eine detailversessene Studie über den Maler Francis Bacon und seinen Lover George Dyer ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Aus der Sicht der Kunstkritik sind Malerfilme stets zu fürchten, weil sie zwangsläufig den Akt des Malens verklären. Die „Studie für ein Portrait Francis Bacons“ kann dem nicht entgehen, zeigt aber den Maler vor der ungrundierten Leinwand nicht in geniehafter Introspektion, sondern geladen mit physischer Aggression. Im Vergleich dazu wirkt Jackson Pollock in Hans Namuths berühmter Dokumentation wie ein spielendes Kind.
Die Bacon-Studie ist weder ein Dokumentarfilm mit Spielszenen noch ein richtiger Spielfilm, sondern eine Verkettung von Episoden, die kurz vor einer kompletten Erzählung haltmacht: im Atelier, im Spielcasino, im Auto, im Taxi. Die Energien des Films kommen aus der lückenlos vorzüglichen Besetzung. Sir Derek Jacobi hat zwar nicht die ungleichen Augen Bacons, aber verkörpert auf eindrucksvolle Weise die Abgründigkeit des Malers, mit ihrer dunklen Schnittstelle von herrschaftlicher Autorität und masochistischer Tuntigkeit. Bacons Lover und Modell George Dyer bekommt durch Daniel Craig den harten, existentiellen Schliff des kleinkriminellen Prolos aus dem Querelle-Milieu. In den immer wiederkehrenden Bar-Szenen brillieren Tilda Swinton als Muriel Belcher – ein böses Maul von Klasse – und Anne Lambton als Modell und fag hag Isabel Rawsthorne. Gar nicht zu sprechen von Karl Johnson, der dem versoffenen und zynischen Fotografen John Deakin seine zischende, schlangenhafte Gestalt gibt. Allein diese Figur ist es wert, den Film zu sehen.
Die belebteste Episode zeigt Rawsthorne, wie sie nackt auf einem Bett für den Fotografen Deakin posiert und die beiden sich über den Zweck der Angelegenheit – nämlich dem Maler Fotografien zu liefern – lustig machen. Gegen die Regeln des Spiels kehrt Deakin seinen Voyeurismus heraus, dem er (wie vielen anderen seiner Äußerungen) eine homophobe Wendung gibt: „Zeig deine Muschi – woher soll er denn sonst wissen, wie so etwas aussieht.“ Das Schlagende an der Szene ist die ungeheure Leichtigkeit, mit der Anne Lambton das Herzeigen spielt; oder eben gar nicht spielt, sondern es auf dem Filmset schlicht kann. Bezogen auf die Grundkonstellation des (abwesenden) Malers und seines Modells, auf das Schauen am Set und das Glotzen im Kino ist der Zweiminuten-Take mehr als doppelbödig.
Heroisch gewendeter Sadomasochismus
Die Liebe und Sorgfalt des Filmemachers John Maybury, der lange Mitarbeiter von Derek Jarman war, gilt natürlich den Szenen zwischen Bacon und Dyer, deren sadomasochistischer Sex mit Details – das Close-up eines Manschettenknopfes zum Beispiel – ins Heroische gewendet wird. Es gab auch bei Jarman schon diese Liebe zur fensterlosen Kammer, die der Begegnung der männlichen Körper etwas Klaustrophobisches und Kriegerisches verleiht. Der Modus ist nicht eigentlich Kino, sondern eher eine Verklitterung von feiner Fotografie und höherem Theater, das aber gekonnt.
Bacon lernt den Taugenichts George Dyer 1964 kennen, als dieser in sein Atelier einbricht; in der Tat eine ungewöhnliche Grundlage für eine Liebe auf den ersten Blick. Das Verhältnis dauert vierzehn Jahre an, bis George Dyer sich parallel zur Eröffnung von Bacons Retrospektive in Paris das Leben nimmt. Während Dyer in der sexuellen Beziehung die Domina spielt, wird er im Leben des Künstlers nicht nur zum Objekt, sondern fast zu einer Kunstfigur, die Bacon erst erschaffen hat. Dyer opfert sein Prolomilieu für einen rasanten Aufstieg, der ihn im Gegenzug mortifiziert. Während der Film nur begrenzt Einsichten erlaubt, wie nun die Komplexität der Beziehung in der Malerei Bacons zu ihrer ergreifenden Wirkung kam, erfährt man dafür einiges über die magische Zerstörungskraft des Alkohols.
Bacons Sarkasmus – und der seiner Freunde, Dyer ausgenommen – gibt dem Kinofilm seine komische Seite. „I love you, Francis“, sagt einmal sein Lover. „Where do you get your slogans from, George“, antwortet der Maler – „of the television?“
Sprung in den Spielfilm leider nicht gewagt
Mit einem Schatz von kniffligen Dialogen und haarsträubenden Sentenzen, mit einem vorzüglichen Ensemble, einer minutiösen Rekreation des vermüllten Ateliers und allen Feinheiten von 60er-Jahre-Make-up und -Garderobe ist es dann doch bedauerlich, daß Maybury den Sprung nicht gewagt hat, die Geschichte nach dem Muster des Spielfilms durchzuerzählen. Dafür hätte man die Nebenfiguren – die Frauenrollen vor allem – ausbauen müssen, was letztlich gut gewesen wäre, um die ungewöhnliche Rolle des Malers als zentrale Figur einer exzentrischen Szene begreifen zu können.
Statt dessen ist die Studie so konzipiert, daß sie trotz des heiklen Subtexts notfalls als Schulfilm für die Oberstufe taugen würde. Die Episoden werden jeweils geschlossen durch Bacons – zugegeben hörenswerte – Reflexionen über die Malerei und den Menschen, aus dem Off. Was fehlt, auch wenn die Promotionfirma damit hausieren geht, ist ein echtes Gefühl für das swingende London. Das liegt wahrscheinlich daran, daß man in den häuslichen Szenen zwischen Bacon und Dyer die Stadt gar nicht hört. Der Film ist dominiert von der quietschenden Kammermusik Ryuichi Sakamotos und verzweifelten Versuchen, mit Tricklinsen und Spiegelungen den halluzinatorischen Effekt von Bacons gnadenloser Malerei des menschlichen Fleisches nachzustellen. Die Ding-Klang-Beziehung ist in sich kunstvoll, aber sie sagt letztlich wenig über die Kunst, um die es geht.
So ist der Vorbehalt der Kunstkritik gegenüber Künstlerfilmen eben doch berechtigt: Die Genese des Werks bleibt rätselhaft, weil die Filme sich an der Ästhetik des vollendeten Werks bedienen. Es ist nicht verwerflich, das Menschenbild eines Malers als Epochenblick auszudeuten, aber die ganze Angelegenheit ist am Ende trotz ihrer Intensität weniger lehrreich, als sie zu sein vorgibt.
„Love Is The Devil. Study for a Portrait of Francis Bacon“, Regie und Buch: John Maybury. Mit Derek Jacobi, Daniel Craig, Tilda Swinton, UK 1997, 89 Min.
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