: Das grüne Milieu
Das klassische grüne Milieu ist heute bereits eine historische Erscheinung. Anfang der achtziger Jahre, in der Gründungsphase der Grünen, war die Partei Teil einer soziologisch klar umrissenen Protestkultur.
Die (meist aus sozialdemokratischen Familien stammenden) Söhne und Töchter des neuen Bildungsbürgertums, gelangweilt durch die Traditionsvereine der Arbeiterbewegung, vom Selbstverständnis her Protestierer gegen und Erneuerer der Gesellschaft zugleich, entdeckten die Ökofrage als ihr Thema. Ihre Partei nannten sie schlagkräftig: Die Grünen.
Die grünen Wähler – so schälte es sich Mitte der achtziger Jahre heraus – waren genauso wie die grünen Mitglieder in der Regel zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, gut ausgebildet und am Beginn einer beruflichen Karriere. Die Grünen kamen ihnen vom Gestus her entgegen: als Kritiker der Bonner Politikrituale.
Mit zunehmendem Erfolg differenzierte sich die Anhängerschaft der Grünen. Zum harten Kern der grünen Alternativszene kamen mehr und mehr Bürger, die die Ursprungsphilosophie der Grünen zunehmend in Frage stellten.
Gemeinsam war dagegen allen die Kritik an der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft, die um des materiellen Gewinns willen die natürlichen Ressourcen des Landes verschleuderte.
Die erste Zäsur bei den Grünen kam mit ihrer Beteiligung an der Landesregierung in Hessen. Die Grünen in Hessen wurden zu einer Partei progressiver Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes.
Heute sind die Grünen nach wie vor die Partei einer Generation; der, die heute zwischen 35 und 50 Jahre alt ist. Unterhalb und oberhalb dieser Altersgruppe sieht es für die Partei mau aus.
Hinzukommt, daß die Grünen überwiegend eine Partei der westdeutschen Großstädte geblieben sind. Im Osten gab und gibt es weder die postmaterialistische Wohlstandskritik noch konnte sich dort eine Protestkultur entwickeln, die den antiautoritären Politikstil der Grünen nach wie vor prägt.
Trotz der Fusion zwischen Bündnis 90 und Grünen entstand nie eine wirklich neue gesamtdeutsche Partei; die DDR-Bürgerrechtler verloren stetig an Bedeutung. Mit dem Eintritt der Grünen in die Bundesregierung wird sich das grüne Milieu noch einmal ausdifferenzieren und verbreitern.
Trotzdem wird die Partei mit ihrem Politikansatz und ihren Themen im Osten auf absehbare Zeit Probleme haben. Als Regierungspartei wird ihre Bedeutung in den westdeutschen Metropolen dagegen weiter zunehmen – sofern sie es schafft, gesellschaftliches Mißtrauen abzubauen und sich anders zu profilieren als nur als Protestpartei.
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