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Darf es wieder etwas Schiene sein ?

Vor 20 Jahren wurde Hamburgs Straßenbahn eingestellt. Die diskutierte Wiedereinführung einer neuen Stadtbahn in der Hansestadt wird noch auf sich warten lassen  ■ Von Henri Gabriel

Am 1. Oktober 1978 bimmelte „die 2" ein letztes Mal durch Hamburg. Die Fahrt aufs Abstellgleis im Straßenbahn-Depot Niendorf wurde zur Abschiedsfeier mit „großem Bahnhof", ein Tag der offenen Tür mit HVV-Festprogramm, wobei jeder, der Lust und Laune verspürte, Wagenteile demontieren und ersteigern konnte. Die Erlöse gingen an das Rote Kreuz. Die populärste aller und zugleich letzte von einst stolzen achtzehn Hamburger Straßenbahnlinien verabschiedete sich von den Hanseaten mit einem Riesenspektakel.

Gegen 15 Uhr sammeln sich die noch verbliebenen 39 Triebwagen auf dem Rathausmarkt. Zum Nulltarif dürfen die Bürger ein letztes Mal mit ihrer Straßenbahn fahren. 300.000 Menschen stehen Spalier, Kein nostalgischer Abschied, mehr eine Demonstration für ein Verkehrsmittel, dessen vorläufiges Ende nach 112 Jahren gekommen war. Am 16. August 1866 war zum erstenmal die Pferdeeisenbahn auf Holzschienen im 12-Minuten-Takt auf der Strecke Rathaus - Wandsbeck gefahren, am 3. März 1894 rollte die erste Tram mit modernen Elektromotoren durch die wachsende City. Ein rascher Ausbau des Liniennetzes folgte, die „Elektrische“ wurde zum wichtigsten öffentlichen Verkehrsmittel Hamburgs. 1956 hatte das städtische Netz mit 18 Linien und einer Streckenlänge von 187 Kilometern seine größte Ausdehnung erreicht und bewältigte 40 Prozent des öffentlichen Personennahverkehrs.

Dann begann der Siegeszug des Autos. Seit Anfang der 60er Jahre mußte der HVV im Innenstadtbereich mit stark zurückgehenden Bevölkerungszahlen kämpfen, das dichte Netz attraktiver Verkehrsverbindungen erwies sich infolge verstärkter Abwanderungen ins Umland als nicht mehr rentabel. Für viel Geld mußten alternative Routen geschaffen werden von und zu den neuen Wohngebieten, Einkaufszentren und Arbeitsstätten am Rande der Stadt. Sinkende Fahrgastzahlen, stark zunehmender Autoverkehr und der Glaube an die Attraktivität und Überlegenheit von Bussen und Schnellbahnen bewogen den Hamburger Senat zur Änderung seines Verkehrskonzepts.

Ab 1965 wurde in Umsetzung eines Senatsbeschlusses mit der schrittweisen Linieneinstellung begonnen. Der HVV nahm in den 70er Jahren im Gegenzug moderne Schnellbahnen und Busse in Betrieb. Die an Stelle der „2“ auf der neuen und noch heute existierenden Linie 102 eingesetzten Standardbusse mit 44 Sitzplätzen beförderten bereits zu Beginn ihres Einsatzes 20 Prozent mehr Fahrgäste als die alten Straßenbahntriebwagen mit ihren nur 31 Sitzplätzen und sind nach HVV-Berechnungen erheblich kostengünstiger. Von der zunehmenden Luftverschmutzung durch die Dieselabgase ist damals noch keine Rede.

Von insgesamt 187 Kilometern im Jahre 1956 schrumpfte das Tramnetz auf 72 Kilometer im Jahre 1971; 1976, zwei Jahre vor Gesamtstillegung, verkehren auf einer Streckenlänge von rund 30 Kilometern nur noch drei Linien. Ihr Anteil an den Fahrgastzahlen des HVV beträgt nur noch 3,8 Prozent.

Das verkehrspolitische Konzept des HVV gründet sich seither auf die Arbeitsteilung zwischen Schnellbahnen und Bussen in einem integrierten Verkehrssystem. Dabei obliegt nun den Schnellbahnen die Bedienung der Hauptverkehrsströme zwischen den Wohngebieten und den Arbeitsstätten über längere Entfernungen, während Busse die Zubringer- und Verteilerdienste zu den Schnellbahnen leisten sollen.

1989 kommt die Trendwende im öffentlichen Nahverkehr. Seither nimmt die Bevölkerung das HVV-Angebot verstärkt wahr. Ein kontinuierlicher Fahrgastanstieg reflektiert die Akzeptanz des ÖPNV. An Werktagen sind es etwa 1,7 Millionen Passagiere, die auf das Angebot des Verkehrsverbundes setzen. Um kommenden Aufgaben gerecht zu werden, empfehlen Verkehrswissenschaftler seit geraumer Zeit die Wiedereinführung des Schienensystems, zumal der Verkehrsinfarkt auf den Straßen für alle spürbar geworden ist.

Denn die Wiedereinführung einer neuen, hochmodernen Stadtbahn – wie die Tram inzwischen genannt wird – macht ökonomisch wie ökologisch Sinn. Attraktiv, wirtschaftlich und geeignet, Zersiedlungstendenzen zu stoppen, erfährt das Schienenfahrzeug weltweit eine Renaissance. Sie gilt als zeitgemäße Alternative zum motorisierten Individualverkehr und bringt Fahrgastzuwächse von bis zu 80 Prozent. Die neuen Wagen können mehr Personen transportieren als Busse und sind wesentlich wirtschaftlicher, komfortabler und umweltfreundlicher. Soweit wie möglich rollen sie auf eigenem Bahnkörper, ein computerisiertes Verkehrsleitsystem sorgt für Vorrang im Verkehrsfluß, und die Fahrgäste kommen schneller und billiger an ihr Ziel als mit dem Pkw.

Diesen Argumenten konnte auch der Hamburger Senat sich angesichts der Erfolgsmeldungen aus Städten wie Zürich und Straßburg, Potsdam und Freiburg inzwischen nicht mehr verschließen. Ein Beschluß von 1995 sieht den Bau eines Straßenbahnnetzes auf unabhängiger Trasse bis zum Jahre 2000 vor. Vier Linien sollen wieder auf einer Gesamtlänge von 28,1 Kilometern verkehren, teilweise auf derselben Strecke wie vor 20 Jahren. Die Stadtbahn, so faßte ein Gutachten der Intraplan Consult 1994 zusammen, sei voll in das Verkehrsgeschehen integrierbar. Straßen müßten nicht ausgebaut werden.

Im Mai 1997 befürwortete der Senat in einem Grundsatzbeschluß erneut die qualitative Verbesserung des ÖPNV in Hamburg, insbesondere die Verbindung der zahlreichen radialen Schnellbahnlinien durch ein Stadtbahnnetz. Die „Verkehrsentwicklungsplanung Hamburg" formulierte den historischen Entwicklungsstand und das hehre Ziel urbaner Modernität, „eine Trendwende im Verkehr herbeizuführen und Individualverkehr auf umweltschonende Verkehrsträger und Verkehrsarten zu verlagern“, wie Bau- und Verkehrssenator Eugen Wagner (SPD) wortreich versprach.

Den Worten folgten bislang aber nur wenige Taten. Vorplanungen für einzelne Strecken wurden erstellt, für weitere Linien sowie einen Betriebshof mit Zentralwerkstatt sollen sie in Auftrag gegeben werden. Für die Erledigung der Vorplanungsleistungen wurde ein Zeitraum bis Ende dieses Jahres genannt, über Zwischenlösungen aber kamen die Planer bislang nicht hinaus.

Mit dem ersten Spatenstich für eine Stadtbahn in Hamburg vor 2003 rechnet gegenwärtig niemand mehr. Das wäre immerhin noch rechtzeitig zum 25. Jahrestag des Endes „der 2“.

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