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Daimler, die Krönung der Geschichte

Einen Tag vor dem Tag der deutschen Einheit eröffnet Bundespräsident Roman Herzog die Daimler-City am Potsdamer Platz: als Symbol nationaler Identitätssuche und gesellschaftlicher Polarisierung  ■ Von Hannes Koch

Daimler-Benz vollendet die friedliche Revolution, an deren Ende im November 1989 die DDR zusammenbrach. Keinen geringeren Anspruch als diesen erhebt Deutschlands größter Konzern, wenn heute das Daimler-Areal am Potsdamer Platz offiziell eröffnet wird.

Jedes Gebäude ein historisches Symbol: Kaum ein Privatinvestor hat je so selbstbewußt, herrschaftlich und unmißverständlich versucht, sein Projekt in den historischen Prozeß zu bauen und diesen für sich zu reklamieren. Kann ein Wirtschaftskonzern, der weltweit Automobile, Waffen und Finanzdienstleistungen verkauft, eine Volksbewegung beerben?

Bei Daimler geht selbst das. Vor den Fassaden der einzelnen Blöcke hängen riesige Schwarzweißfotos, die die Geschichte des Ortes vergegenwärtigen. Symbol des sozialistischen Unrechts – ein DDR-Arbeiter mit Kelle mauert am „antifaschistischen Schutzwall“. Daneben die Mauerspechte, die dem eisernen Vorhang vor neun Jahren erfolgreich zu Leibe rückten. Eine DDR-Bürgerin vor Glück weinend im Trabant, während ihr eine Westberliner Hand ein Glas Begrüßungssekt reicht.

Indem sie die Plakate während der Eröffnungsfeier zeitgleich abhängen, beenden 170 Bergsteiger heute den Blick auf die Vergangenheit. Dahinter erscheint die Gegenwart – Bürotürme, Kinos, ein Musicaltheater, teure Wohnungen, eine verglaste Einkaufspassage mit 120 Geschäften und eine Bankzentrale. Der gescheiterte Versuch, in der DDR eine andere Gesellschaftsordnung zu etablieren, der mühsame Weg, sie wieder loszuwerden, Hoffnungen auf Freiheit und Demokratie – all das mündet im Festakt folgerichtig und bruchlos in die Eröffnung eines Projekts, das – wenn überhaupt – nur einen Wunsch der 1989er einlösen kann: den nach Wohlstand.

So minutiös geplant wie die Abfolge von Videoeinspielungen, Orchesterdarbietungen, historischen Reden und Gedichtrezitationen durch SchauspielerInnen, so präzise wurde der Zeitpunkt der Eröffnungsfeier gewählt: der 2. Oktober, wenige Stunden vor dem achten Jubiläum der Vereinigung von DDR und BRD. Bundespräsident Roman Herzog läßt es sich nicht nehmen, das nationale Interesse an der Vollendung des Bauprojekts deutlich zu machen, indem er um 11.58 (Ablaufplan) das rote Band über der Alten Potsdamer Straße durchschneidet.

Herzog und Daimler-Chef Jürgen Schrempp arbeiten auf dem neuen Marlene-Dietrich-Platz gemeinsam am Projekt der nationalen Identititätsstiftung. Mitten zwischen die Zentren des alten West- und Ost-Berlin, auf die frühere Scheidelinie der Blöcke und direkt an die ehemalige Grenzlinie gebaut, demonstriert der neue Stadtteil das Zusammenwachsen des früher Getrennten. Nicht umsonst spricht der Daimler-Vorstand davon, Berlin „bei der Suche nach einer neuen Identität unterstützen“, der Stadt also nicht nur eine räumliche, sondern ein mentale Mitte, einen geistigen Ruhepol geben zu wollen.

Die Eröffnung freilich fällt in eine Zeit, die jener eine ursprünglich nicht geplante Konnotation verleiht. Gerade wurde die Bundesregierung abgewählt, die die schnelle Vereinigung der beiden Deutschländer vorangetrieben hatte. Die WählerInnen schickten sie auch nach Hause, weil der Prozeß des Zusammenwachsens einen ebenso starken Trend der Spaltung hervorgerufen hatte.

Als Symbol dieser Spaltung kann auch das Daimler-Projekt gelten. Durch Höhe, Form und Masse brach der Architekt Renzo Piano einerseits mit der nivellierenden Bautradition der vergangenen 40 Jahre. Zum anderen beheimatet die Kathedrale der neuen Zeit Unternehmen, auf denen die Hoffnungen für Wohlstand und Prosperität im nächsten Jahrhundert ruhen. Der Aufstieg der Daimler-Dienstleitungstochter Debis, deren Zentrale im Potsdamer-Platz-Komplex residiert, ist eine Erfolgsgeschichte par excellence. Immer wieder überrascht Debis die Öffentlichkeit, indem Tausende neuer Arbeitskräfte einstellt wurden.

Doch so beziehungslos zur übrigen Stadt das Daimler-Areal zwischen Baustellen und Freiflächen liegt, so isoliert vollzieht sich der Aufschwung des einen Teils der Ökonomie gerade in Ostdeutschland. Wer kennt nicht die zu Ruinen verfallenen Straßenzüge in manchem Ostbezirk und die abgeräumten Industriegelände. Das Wohlstandsversprechen, mithin auch die Demonstration des geglückten Zusammenwachsens zweier Gesellschaftssysteme, bezieht sich nicht auf alle EinwohnerInnen, sondern nur auf eine Teilmenge. Aufstieg der einen bedeutet Abstieg der anderen. So präsentiert sich das Daimlerprojekt als Abkehr von der Bonner Republik und gibt Aufschluß über einen Charakterzug der Berliner Republik. Dieser ist von einer stärkeren Polarisierung der sozialen Verhältnisse geprägt und damit auch von einer Verschärfung des gesellschaftlichen Konfliktpotentials.

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