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Soweit die Füße tragen

Obwohl der letztjährige Ironman auf Hawaii für den 25jährigen Chris Legh im Krankenhaus endete, ist der australische Triathlet auch morgen wieder am Start  ■ Aus Kailua-Kona Thomas Hahn

Der Australier Chris Legh kann eigentlich nicht mehr viel tun in diesen letzten Tagen vor dem wichtigsten Geschäftstermin im Jahr: dem Ironman-Triathlon auf Hawaii über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen. Das Training ist abgeschlossen und die letzten Einheiten dienen nur noch dazu, sich ein bißchen beweglich zu halten. Er muß sich jetzt vor allem schonen. Und, sehr wichtig, er muß verdrängen. Denn er hat sich viel vorgenommen. Er will mit den Besten mithalten, die in diesem Jahr ganz besonders zahlreich angereist sind zum prestigeträchtigsten Bewerb der Dreikampfszene; mit den schnellen Deutschen Thomas Hellriegel, Gewinner 1997, Jürgen Zäck und Lothar Leder, dem Belgier Luc van Lierde, Inhaber der Weltbestzeit (7:50:27 Stunden) und den anderen.

Chris Legh will beweisen, daß er mit seinen 25 Jahren zu Recht als eines der größten Talente in der Szene gilt. Und da kann es nur schädlich sein, sich zu sehr in Erinnerungen an den bösen Kollaps zu verlieren, den er im vergangenen Jahr erlitt. Damals ist er so beharrlich an seiner Erschöpfung vorbeigerannt, daß er an zehnter Stelle laufend, 100 Meter vor dem Ziel zusammenbrach und ihm eine Nacht später im engen Krankenhaus von Kona bei einer Notoperation ein Stück Darm entfernt werden mußte, um sein Leben zu retten. Legh konnte in diesem Rennen Flüssigkeit und Nahrung nicht bei sich behalten, weil er Durchfall hatte und immer wieder erbrechen mußte. Sein Blut wurde dick, floß zäh, vor allem in die Muskulatur, die ihn ins Ziel tragen sollte, und versorgte den beanspruchten Ver- dauungstrakt nicht mehr mit ge- nügend Sauerstoff. Die Folge: ein Stück Darm starb ab. Darminfarkt heißt so etwas in der Medizin und ist durchaus keine Bagatelle. Wird nicht fachgerecht operiert, kann der Darm durchbrechen und dessen bakterienreicher Inhalt sich im Bauchinnenraum ausbreiten. „Das hat heute noch eine Sterblichkeitsrate von 50 Prozent“, sagt Reiner Caspari, Internist an der Universitätsklinik in Bonn und selbst Starter auf Hawaii.

Nun ist Legh fachgerecht ope- riert worden und wurde im Früh- jahr schon wieder Zweiter beim Ironman in Australien. Aber er hat mit seinem Zusammenbruch ein unangenehm drastisches Beispiel dafür geliefert, welche gesund- heitsbedrohlichen Ausmaße die Schinderei der Ironman-Profis gelegentlich annimmt. Der Wind, die Hitze, die hohe Luftfeuchtigkeit machen den Triathlon auf Hawaii zu einem der schwersten Ausdau- ertests der Welt, bei dem bis zum Schluß auf den Beinen nur bleibt, wer auf der Strecke genügend ißt und trinkt und bei den ersten Symptomen von Erschöpfung das Tempo drosselt.

Doch bei den Profis geht es um viel Geld – mit 250.000 Dollar ist die Veranstaltung dotiert – und deshalb läuft mancher schon mal am Getränkestand vorbei oder bemüht sich um Anschluß, wenn aufzustecken gesünder wäre. Legh zum Beispiel hatte böse Bauchschmerzen. Aufgeben kam für ihn trotzdem nicht in Frage: „Ich habe mich gefühlt, als müßte ich gehen. Aber ich habe mir gedacht, wenn du gehst, brauchst du zwei Stunden ins Ziel.“ Und außerdem: „Ich war Zweiter, später Dritter. Wer will so was schon drangeben?“

Legh hat den Vorfall eingehend analysiert, seine Ernährung um- gestellt und gelobt, künftig ge- nauer auf die Zeichen der Ermüdung zu horchen, die ihm sein Körper gibt. Er hat auch keine Probleme damit, darüber zu reden. Aber eigentlich möchte er die Sache am liebsten vergessen. Und er ist sehr froh, daß es ihm damals so schlecht ging, daß er sich gar nicht lange zurückbesinnen könnte. „An die letzte halbe Stunde“, sagt Legh und lächelt zufrieden, „kann ich mich nur noch sehr dunkel erinnern.“

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