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Die Antitropferfindung Von Ralf Sotscheck

Biertrinker haben feuchte Hände, jedenfalls in England. Das helle Bier, das sie dort Lager nennen, ist dünn, schaumlos und wird randvoll eingeschenkt. Im vollbesetzten Pub, kurz vor der Sperrstunde, ist es ein schwieriger Balanceakt, mit dem Glas an den Tisch zu gelangen, ohne unterwegs allzuviel zu verschütten.

Manch Gierschlund schleppt vor dem Versiegen der Zapfhähne gar drei Pints auf einmal – jene 0,56 Liter, die bisher jeder Dezimalisierung widerstanden haben. Die Gläser zwischen Daumen und Mittelfingern eingeklemmt, bahnt er sich einen Weg durch die Trinkergemeinde und schützt die Dünnbrühe mit Schultern und Ellenbogen. Danach braucht er ein Handtuch. Wenn dann noch einer an den Tisch stößt, gibt es ein Bierbad. Die Sägespäne, die in den Pubs früher auf den Fußboden gestreut wurden, hatten ihren Sinn.

Mit all dem Ungemach soll nun Schluß sein, die Gäste sollen den Weg zum Rausch künftig trocken zurücklegen können, wenn es nach Carlsberg-Tetley geht. Die dänische Brauerei hatte ihr Bier für den britischen Markt seit je an die lokalen Trinkgewohnheiten angepaßt und fabrizierte eine Art Hühnerpisse, die gut ankam. Nun soll sie aber nicht mehr überschwappen, denn fünf firmeneigene Wissenschaftler haben ein Gel entwickelt, das Bier oder auch Wein beigemengt werden kann, so daß es nicht tropft.

Gummibärchen mit Biergeschmack? Warum nicht, das kann auch nicht schlimmer sein als das süßliche Dänenbräu. Aber aus einem guten Fläschchen Bordeaux einen Weingummi zu machen, geht eindeutig zu weit. Außerdem gießen kultivierte Weintrinker ihre Gläser nicht randvoll, so daß die Gefahr des Überlaufens eher gering ist. Und wer in einem englischen Pub Wein bestellt, wo man höchstens die Farbe wählen kann, ist selbst schuld.

Das Gel wird aus Seetang gewonnen, Carlsberg hat es sich in 120 Ländern patentieren lassen. Offenbar wittert der Konzern ein Riesengeschäft, denn man kann das Gel auch Dosengetränken beimischen, und wenn man dann die Dose kräftig schüttelt, ploppt sie dennoch beim Aufreißen der Lasche nur leise, weil das Seetang- Derivat das Gas absorbiert.

„Das Gel ist nicht vollkommen fest“, versicherte jemand von der Carlsberg-Presseabteilung, „es bricht scherenförmig und fließt, wenn es Druck ausgesetzt ist, zum Beispiel beim Eingießen oder Trinken.“ Es kann also nicht scheibchenweise auf dem Teller serviert werden, das ist beruhigend. Bier mit Messer und Gabel wäre wohl nur schwer vermarktbar. „Aber man kann damit Getränke herstellen, die nicht so leicht überschwappen“, hieß es in der Presseerklärung, „das wäre ideal für ein überfülltes Wirtshaus oder eine schwankende Fähre.“ Oder für schwankende Gäste.

Dabei gäbe es eine einfachere Lösung, um Trinker und Tränke trocken zu halten: Man könnte die Gläser ein wenig größer machen, so daß sie nicht bis zum Überlaufen gefüllt werden müssen. Doch das ginge gegen die Tradition, der Wirt bekäme Ärger, weil sich die Gäste übers Ohr gehauen fühlten.

Vermutlich steckt ein ganz anderer Plan hinter der Antitropferfindung: Wenn es nicht mehr tropft, kann man wohl auch die Toiletten in den Pubs abschaffen.

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