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Dem Krieg der Worte muß kein Angriff folgen

■ Serbische Sicherheitskräfte vertreiben im Kosovo weiter Menschen und vernichten Dörfer. So heißt es im Bericht des UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Dennoch wird der Weltsicherheitsrat der Nato wohl kein Mandat für einen Militärschlag gegen Belgrad erteilen. Die Allianz übt sich trotzdem in kämpferischer Rhetorik. Doch eine Intervention scheint ausgeschlossen.

Die Regierung in Belgrad hat bislang keine der Forderungen der Resolution 1199 des UNO-Sicherheitsrates vom 23. September erfüllt. Zu dieser Feststellung gelangt UNO-Generalsekretär Kofi Annan nach Informationen der taz in einem Bericht, den er dem Sicherheitsrat am heutigen Montag zur Beratung vorlegen wird.

Die Beratungen des höchsten UNO-Gremiums finden vor dem Hintergrund deutlich verschärfter Drohungen mit beziehungsweise Warnungen vor Militärschlägen der Nato gegen Ziele in Serbien statt. Diese eskalierende rhetorische Kulisse verdeckt dabei die wahren Interessen aller Beteiligten. Tatsächlich ist vorläufig weiterhin weder mit einer Ermächtigung des Sicherheitsrates zu Militärschlägen gegen Serbien zu rechnen noch mit einem eigenmächtigen Handeln der Nato ohne UNO- Mandat.

Nach Feststellung Annans setzen die serbischen „Sicherheitskräfte“ ihre auf Vernichtung der Kosovo-Befreiungsarmee UCK und auf die Vertreibung der albanischen Zivilbevölkerung gerichteten militärischen Maßnahmen unvermindert fort. Auch von einem Rückzug der „Sicherheitskräfte“ in die Kasernen könne keine Rede sein. Zwischenzeitlich aus dem Kosovo abgezogene Militär- und Polizeieinheiten seien durch neue Einheiten ersetzt worden.

Humanitäre Organisationen wie das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) haben nach Feststellung des UNO-Generalsekretärs weiterhin keinen ungehinderten Zugang zu den mindestens 250.000 innerhalb des Kosovo vertriebenen Menschen, die angesichts des einsetzenden Winters immer dringender auf Versorgung mit Nahrungsmitteln, warmer Kleidung und Notunterkünften angewiesen sind. Wenn diese Hilfe nicht sehr bald erfolgt, droht nach Einschätzung Annans insbesonders den bis zu 50.000 Menschen, die sich derzeit noch in den Wäldern des Kosovo aufhalten, der Hunger- oder Kältetod.

Der UNO-Generalsekretär appelliert an den Sicherheitsrat, die drohende humanitäre Katastrophe im Kosovo zu verhindern. Darüber hinaus enthält sich Annan – entgegen anderslautenden Berichten vom Wochenende – jedoch jeglicher Äußerung zu einem etwaigen militärischen Eingreifen. Auch der Sicherheitsrat wird nach übereinstimmender Einschätzung westlicher wie russischer UNO-Diplomaten weder auf seiner heutigen Sitzung noch im weiteren Verlauf der Woche hierzu einen Beschluß fassen.

Denn das bislang einzig diskutierte Szenario eines militärischen Eingreifens sind Luftangriffe der Nato auf Ziele in Serbien. Die Regierung in Moskau unterstrich gestern in einer äußerst scharf formulierten Warnung erneut, daß für dieses Szenario einer militärischen Intervention im Sicherheitsrat unter keinen Umständen grünes Licht geben wird. Und ein Alleingang der Nato ohne Mandat des Sicherheitsrates wäre „eine schwere Verletzung der UNO-Charta“. Dann stehe nicht zuletzt „das gesamte Ziel der internationalen Beziehungen auf dem Spiel“. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Politiker Joschka Fischer, möglicher künftiger Außenminister Deutschlands, in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazib Der Spiegel.

Nato-Generalsekretär Janvier Solana, US-Außenminister William Cohen sowie der bisherige SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping verschärften hingegen übers Wochenende die Warnung vor Nato-Militärschlägen notfalls auch ohne UNO-Mandat. Nach diesen Äußerungen sei die „rechtliche Basis“ für derartige Maßnahmen entweder bereits durch die bisherigen Kosovo-Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates, spätestens aber durch den heutigen Bericht von Generalsekretär Kofi Annan gegeben.

Über andere Szenarien eines militärischen Eingreifens – zum Beispiel die Entsendung einer internationalen Truppe unter UNO- Kommando unter Beteiligung Rußlands, um in den nächsten Wochen und Monaten zunächst einmal die humanitäre Versorgung der Flüchtlige und Vertriebenen zu sichern – ist bislang zumindest öffentlich nicht diskutiert worden.

Die eskalierten Drohungen westlicher Politiker und Militärs mit Luftangriffen haben vorrangig den Zweck, Belgrad doch noch zum Einlenken und zur Erfüllung der UNO-Forderungen zu bewegen.

Die rhetorische Drohkulisse verdeckt die Tatsache, daß es auch innerhalb der Nato weiterhin keinen Konsens über Luftangriffe auf serbische Ziele gibt: weder politisch noch hinsichtlich der operativen Umsetzung. Auch die militärischen Reaktionen Serbiens auf Luftangriffe werden unterschiedlich in den 16 Nato-Regierungen eingeschätzt.

Vor allem aber besteht weiterhin keinerlei Konsens über das längerfristige politische Ziel, das mit Luftangriffen erreicht werden soll. Erklärungen aus Washington, falls Belgrad die Forderungen der UNO weiterhin nicht erfülle, könnten innerhalb von zwei Wochen Nato-Luftangriffe erfolgen, werden auf Nachfrage im Brüsseler Nato-Hauptquartier und in westeuropäischen Nato-Hauptstädten nicht unterstützt.

Auch die Regierung in Belgrad beteiligt sich zunehmend an der Eskalation der Worte. Ein Befehlshaber der serbsichen Flugabwehreinheiten erklärte, bei einem Luftangriff der Nato werde zurückgefeuert. Gegen einen Angriff mit Marschflugkörpern sei zwar wenig auszurichten. „Aber im Falle eines Angriffs mit Flugzeugen können wir der Nato viel Schaden zufügen“, erklärte der Offizier.

Nach seinen Angaben seien bereits mobile Boden-Luft-Raketenstellungen in die Nähe serbischer Militärflugplätze und anderer möglicher Angriffsziele der Nato verlegt worden.

Ein Bericht der britischen Sunday Times, wonach London die Entsendung von Bodentruppen und Panzereinheiten in den Kosovo vorbereite, wurde von Verteidiungsminister George Robertson auf Anfrage gestern weder bestätigt noch dementiert. Andreas Zumach, Genf

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