piwik no script img

■ Die Bündnisgrünen stehen nach dem Sieg von Rot-Grün vor einer komplizierten Frage: Wie grenzen sie sich von der SPD ab?Auf zu neuen Ufern

Ihnen stand die Hoffnung in den Augen, ihm nur die Siegesgewißheit. Doch es war Schröders Sieg, der ihre Hoffnung erfüllte. Das rot-grüne Projekt hat die Grünen ihr politisches Leben lang zerrissen und erfüllt – der Sozialdemokrat Gerhard Schröder hat es Wirklichkeit werden lassen. Das hat Ursachen, vor allem wird es Konsequenzen haben.

Schröder wurde nicht von den Grünen, sondern von seiner Partei zu diesem Bündnis getrieben. Die SPD mißt mittlerweile Positionen, die als grüne gelten, ein Gewicht bei, das die Frage nach der Originalität der Grünen-Programmatik aufwirft. Die SPD repräsentiert einen Teil der Grünen-Wähler – das wirft die Frage nach der Exklusivität des Grünen-Milieus auf. Und Schilys kokettes Angebot einer Fusion beider Parteien hat schlaglichtartig die Frage nach dem Eigenwert grüner Identität aufgeworfen.

Diese Frage läßt sich nicht einfach damit beantworten, die Grünen seien der Treibriemen der ökologischen Modernisierung, Lotsenboot des Tankers Sozialdemokratie. Die gleiche Rolle nehmen auch die Linken in der SPD in Anspruch. Diese Frage läßt sich auch nicht mit dem Verweis zur Seite schieben, die Grünen hätten das bessere Personal. Worin unterscheidet sich denn grundlegend Michael Naumann von Antje Vollmer, worin Walter Riester von Marieluise Beck? Das mittlerweile erzielte Maß an Kongruenz beider Parteien, das ist die angenehme Seite dieser Entwicklung, wird die koalitionäre Zusammenarbeit erleichtern.

Die Grünen sind sozialdemokratisiert, und wenn sie nicht aufpassen, werden sie jusoisiert. Diese Tendenz wird sich noch verschärfen, weil sich mit der PDS eine oppositionelle Kraft etabliert hat, die den Anspruch erhebt, links zu sein. Die PDS ist eine sich radikal gebende Sondervariante der Sozialdemokratie. Sie wird Positionen und Politikverständnisse für sich reklamieren, die die Grünen einst ihr eigen nannten, und damit den Reflex nähren, durch die eigene Radikalisierung das Terrain zu verteidigen. Für eine Regierungspartei ein hoffnungsloses Unterfangen.

Die Grünen haben schlicht einen neuen Stellenwert, weil sie Regierungspartei sind. Doch nicht nur für sie hat sich mit dem 27. September die Perspektive geändert. Die Parteienlandschaft ist ins Rutschen gekommen, einem arg geschrumpften bürgerlichen Block steht eine von sozialstaatlichen Erwartungen geprägte Jospin-Mehrheit gegenüber. Während die FDP ihr Heil in einer Radikalisierung ihrer neoliberalen Positionen suchen wird, kämpft die Union noch um eine Richtung, die ihren Zusammenhalt gewährleistet. Verknüpfungspunkte zu Positionen der Grünen sind bislang kaum erkennbar. Innerhalb der Sozialdemokratie werden die Auseinandersetzungen um das rechte Maß gesellschaftlicher Umverteilung wieder zunehmen. Die Regierungsmehrheit ist zu komfortabel, um das sozialdemokratische Milieu, das ein eher loser, anarchistischer Verbund ist, dauerhaft zu disziplinieren.

Wenn sich die Grünen in dieser politischen Landschaft ihren Platz sichern wollen, müssen sie ihren Stellenwert als Regierungspartei zu einer Änderung der Programmatik und der Strukturen nutzen. Sie müssen zunächst den Kernbereich der Macht für sich einnehmen, indem sie ein zentrales, ein klassisches Ressort für sich reklamieren. Sie sind nicht mehr nur Bewegungspartei, Vertreter eines Spezial- oder Gruppeninteresses, sie übernehmen Verantwortung für die Anliegen der Gesamtgesellschaft. Das ist weit mehr als nur Symbolik. Sie widersetzen sich damit zugleich dem Versuch der SPD, sie politisch zu domestizieren.

Das Finanz- oder das Außenministerium sind, nach dem Kanzleramt, die wichtigsten Ressorts. Ihre Inhaber gestalten das zentrale Politikfeld der Regierung überhaupt. Denn diese beiden Ressorts sind, neben dem Bundeskanzler, jene, die auf die Entwicklung einer globalisierten Welt Einfluß nehmen, die Transformation des Nationalstaates ebenso gestalten wie die Re-Regulierung der entgrenzten Märkte. Wer auf diesem Feld operiert, kann die gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft nachhaltig prägen. Nicht von ungefähr ist Oskar Lafontaine auf diese Gestaltungsmöglichkeit so erpicht.

Um ihre Eigenständigkeit zu wahren, können die Grünen nicht mehr alleine auf ihre Kernkompetenz vertrauen. Das zentrale Projekt des Umweltschutzes, der Ausstieg aus der Kernenergie, ist bereits entschieden. Zur Debatte steht nicht mehr ob, sondern wann. Eine – auch wählerrelevante – mobilisierende Wirkung wie zu Ende der achtziger Jahre geht davon nicht mehr aus. Die nun anstehenden Probleme des Umweltschutzes entziehen sich weitgehend dem engen Rahmen nationalstaatlicher Regelungen. Die Risikoindustrien der Zukunft, die Bio- und Gentechnologie, hat die gesellschaftliche Debatte erst in den letzten Jahren langsam entdeckt. Und hinter dem apodiktischen Impetus, mit dem die Sozialdemokraten sich dafür und die Grünen sich dagegen aussprechen, verbirgt sich ein kaum politisierbarer Pragmatismus der Expertendebatten und Fachentscheidungen.

Für die Regierungspartner werden zwei Bereiche ihrer Politik profilprägend und zukunftsrelevant sein. Die Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe durch Arbeit wird nicht mehr alleine durch staatliche Beschäftigungsprogramme gewährleistet werden können. Die Flexibilisierung und Absicherung der Erwerbsformen und -biographien wird eine Hauptaufgabe sozialdemokratischer Politik sein.

Der Individualisierung der Gesellschaft steht noch immer ein an überkommenen Leitbildern ausgerichtetes Normengefüge gegenüber. Die staatsbürgerrechtliche Spaltung der Gesellschaft bedarf ebenso der Revision wie die zivilrechtliche Orientierung auf Ehe, Familie und Mann. Bei einer Liberalisierung des Rechtssystems kommt diesen Bereichen mindestens die gleiche Bedeutung zu wie der Stärkung der Stellung des Bürgers gegenüber dem Staat und der Rückverlagerung staatlicher Eingriffe in die Gesellschaft.

Die Grünen haben sich bereits in den achtziger Jahren für Bürgerrechte stark gemacht. Sie haben nun die Chance, auf diesen Feldern den Begriff liberal um eine gesellschaftliche Dimension zu erweitern, ihn neu zu füllen und für sich zu reklamieren. Mit einem solchen Profil würden sie sich erkennbar von der Sozialdemokratie absetzen. Die Konkurrenz der FDP hätten sie kaum zu fürchten, denn die hat sich seit langem vom Liberalismus verabschiedet. Dieter Rulff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen