: Toter Käfer erwacht zum Leben
■ In Bonn gestärkt, will die PDS in Magdeburg Ministerpräsident Höppner die Muskeln zeigen
Magdeburg (taz) – Als Schreckgespenst diente der CDU im Bundestagswahlkampf das „Magdeburger Modell“ einer rot-grünen Regierung mit Tolerierung durch die PDS. Vergeblich – nicht zuletzt die PDS konnte zulegen. Jetzt wollen SPD und PDS in Sachsen-Anhalt klären, wie man angesichts des Bonner Wahlergebnisses künftig zusammenarbeitet.
Offenbar aus Angst vor der bitteren Wahrheit hatte sich das Kabinett Höppner geweigert, den etwa 21 Milliarden Mark schweren Haushaltsentwurf schon vor der Bundestagswahl vorzulegen. Die ursprünglich für September geplante erste Landtagssitzung wurde „allein aus taktischen Gründen“, so CDU-Finanzexperte Jürgen Scharf, mit den Stimmen der PDS auf Oktober verschoben. Denn auch die PDS hatte ein strategisches Interesse an der überlangen Sommerpause: Dem Land mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung stehen drastische Einschnitte bevor. Darüber sind sich PDS und SPD im klaren. Heftigen Streit wird es aber über das „Wo“ geben, und dieser Streit – geführt vor der Bundestagswahl – hätte die PDS- Klientel verschreckt.
Auch die SPD hatte den Streit gefürchtet: Er wäre neue Nahrung für Hintzes „Rote-Socken-Kampagne“ gewesen. „Bis zur Bundestagswahl spielen wir erst einmal toter Käfer“, gab der stellvertretende Regierungssprecher Franz Stänner parteiintern als Parole aus.
Das Wahlergebnis hat die Situation für Reinhard Höppner jetzt allerdings noch verschärft. Einerseits braucht er nun eine politische Alternative zu seiner bislang praktizierten „Bonn ist an allem schuld“-Strategie. Andererseits sitzt ihm die gestärkte PDS mit Bedingungen im Nacken. „Für eine weitere Unterstützung der Regierung Höppner brauchen wir konkrete Absprachen über den politischen Kurs“, erklärt Wulf Gallert, parlamentarischer Geschäftsführer der PDS. Die eigenen programmatischen Grundlagen sind dabei von einem Landeparteitag im Mai beschlossen worden. Dazu gehört beispielsweise ein „Widersetzen gegen die marktradikale Kapitallogik“, die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung oder Modellprojekte für den öffentlichen Beschäftigungssektor – angesichts der Lage in Sachsen-Anhalt schwere Kost für die SPD.
Die Sozialdemokraten sind zwar inzwischen zu einer engeren Kooperation bereit, lehnen aber ein unterschriebenes Dokument ab. „Einen Vertrag wird es nicht geben“, stellte Fraktionschef Rüdiger Fikentscher klar. Die Fraktion habe vielmehr beschlossen, der PDS gemeinsame Arbeitsgruppen für bestimmte Politikfelder – etwa zum Thema Arbeitsmarkt, Haushalt oder Landesentwicklung – vorzuschlagen. „Wir wollen in diesen Arbeitsgruppen politische Vorhaben verbindlich verabreden“, so Regierungschef Höppner. Noch vor den Kabinettsdebatten sollen dadurch strittige Fragen ausgeräumt werden.
„Die SPD bietet uns damit ein organisatorisches Konstrukt an, mit dem sie Verläßlichkeit garantieren will“, erklärte PDS-Mann Gallert. „Unser Ziel aber ist, eine inhaltliche Verläßlichkeit für die nächsten vier Jahre herzustellen.“ Die morgigen Gespräche sollen eine Annäherung bringen. Natürlich wäre vernünftig, so Gallert, wenn man dies auch schriftlich – und damit abrechenbar – fixieren könnte. Weil mit einem solchen Papier aber bestimmte SPD- Kreise ein Problem hätten, wollen sich die Sozialisten darauf nicht festlegen. „Nach dem souveränen Einzug in den Bundestag brauchten wir nicht unbedingt einen unterschriebenen Vertrag zur politischen Legitimation.“
Die CDU glaubt, daß schon die Haushaltsberatungen zu einem offenen Streit zwischen SPD und PDS führen. Der SPD-Entwurf sieht nämlich beispielsweise vor, „den Landeshaushalt auf Kosten der Kommunen zu sanieren, was die PDS keinesfalls mitmachen wird“, so CDU Fraktionssprecher André Schröder. Zudem sorgt der Zeitplan für Kritik. „Mit der Verabschiedung des Haushaltes ist nicht vor Februar 1999 zu rechnen“, sagt Schröder, was verheerende Folgen habe, weil alle Zahlungsempfänger des Landes völlig im unklaren gelassen würden. In diesem Punkt „koaliert“ die PDS mit der CDU. „Spätes Geld ist schlechtes Geld, weil Handlungsspielraum verlorengeht“, sagt Gallert und mahnt das Kabinett Höppner zur Eile.
Parlamentarisch hat die affärengeschüttelte CDU augenscheinlich dem rot-roten Duo nur wenig entgegenzusetzen. Nach der Wahl gab es zwar auch in der CDU Stimmen, die die Totalopposition zugunsten einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Kabinett Höppner aufgeben wollten. Diese konnten sich allerdings nicht durchsetzen, was letztlich gut für Höppner scheint: Der konservative Flügel in der SPD hätte andernfalls enormen Auftrieb bekommen. Nick Reimer
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