piwik no script img

Aktive Entlastung für das Publikum

■ Der katalanische Pianist Josep Maria Balanyà präsentiert heute im Übersee-Museum interaktives Musiktheater

„Balanyà erforscht das Innere des Flügels und dringt vor bis zum Unerhörten. Das Ergebnis ist ein berauschender Zaubertrank“, schrieb eine Zeitung in Mexiko City. Als ein musikalischer Weltenbummler stellt sich der katalanische Pianist Josep Maria Balanyà im Pressegespräch im Bremer Übersee-Museum vor. Als kleines Kind hat er sein Bettgestell als Schlagzeug benutzt, als er sieben Jahre alt war, kam ein Klavier ins Haus: Der Junge aus Barcelona studierte Jazz und kam in die Schweiz, „vielleicht eine Strafe Gottes“, wie er sagt. Er tingelte mit Ethno-Jazz, wie er es nannte.

Das Unwohlsein über das starre Verhältnis zwischen MusikerInnen und Publikum, das traditionelle Aktiv- und Passivsein, hat er schon, seit er öffentlich Musik macht. Kein Widerspruch dazu ist allerdings seine Lust am Auftritt, das ist eine Egozentrik, die er liebt: „Wenn Hunderte zuhören, es gibt nichts Schöneres“. Aber das Publikum brauche aktive Entlastung: So entstand das Stück „jungla del piano“ (Klavierdschungel), für das Plastikröhre in den Resonanzraum des Flügels geführt und mit Mikrophonen zum Klingen gebracht werden. „Experimentell-interaktives Musiktheater für präpariertes Klavier und Lianen“, heißt der geheimnisvolle Untertitel.

Die acht Röhre dürfen und sollen vom Publikum bearbeitet werden, durch Blasen, Rufen, Singen ... Ein Risiko geht Balanyà dabei nicht ein: wenn niemand mitmacht, geht es trotzdem weiter, denn das Stück ist komponiert und exakt aufgeschrieben, übrigens während seines Barkenhoff-Stipendiums in Worpswede 1997 bis 1998.

Er hat es inzwischen zehnmal in verschiedenen Städten gespielt,l und auf die Frage, ob das denn Kunst sei, antwortet Balanyà, daß es darum nicht gehe, sondern um die Interkommunikation und vor allem um eine andere Wahrnehmung: „Dazu habe ich zum Beispiel auch Ozeonographie, Geschichte und Biologie in Mexiko studiert“, sagt er. „Wenn die Leute dran waren, hören sie hinterher ganz anders zu. Das zu erleben, ist immer sehr aufregend.“ Er bezieht sich dabei u.a. auf Versuche des amerkikanischen Komponisten Henry Cowell, der schon in den zwanziger Jahren im Innern des Flügels spielte, ein Weg, der direkt zu John Cage führte.

Das Ziel von Josep Maria Balanyàs künstlerischem Leben ist einerseits die Identität von Komposition und Interpretation, andererseits die Ausweitung der traditionellen Klavierklänge: „Balayà benutzt nicht nur die Tasten und Pedale des Flügels, sondern erzeugt mit Gläsern, Rohren, Holzstücken, Ping-Pong-Bällen, Ketten und bisweilen auch mit elektronischen Mitteln neue Töne und Klänge. Dabei lächelt er oft mephistophelisch, Instrument und Musiker scheinen zu einem neuen Wesen zu verschmelzen, um die nächste Überraschung vorzubereiten...“, heißt es in einer Kritik. Lassen wir uns überraschen, heute, 7. Oktober, um 20 Uhr im Übersee-Museum. Das Konzert ist das sechzehnte von Ingo Ahmels' obsessiven „Piano Adventures“: Nach Klassik, Jazz und präpariertem Klavier fällt ihm für die Reihe noch immer was Neues ein.

Ute Schalz-Laurenze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen