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„Kein Kavaliersdelikt“

■ Rund 21 Millionen Mark hat Bremen im ersten Quartal für Kinder gezahlt, deren Väter keine Alimente überweisen

Der Vater ließ sich nicht blicken. Als die Protokollführerin im Amtsgericht die Strafsache gegen ihn wegen Verletzung der Unterhaltspflicht aufrief, blieb die Tür zum Gerichtssaal geschlossen. Der Mann, der keine Alimente für seine 13jährige uneheliche Tochter zahlt, war nicht gekommen. Stattdessen hatte er einen Brief ans Gericht geschrieben: Er lebe „auf der Straße, von der Hand in den Mund“ und könne nicht für sein Kind aufkommen.

Der Mann ist kein Einzelfall. Für 5.989 uneheliche Kinder, deren Väter keine Alimente zahlen, hat das Sozialressort im ersten Quartal 1998 den Unterhalt übernommen. 21,4 Millionen Mark Unterhaltsvorschuß hat das Sozialressort gezahlt. Die Kosten teilen sich Bund und Land je zur Hälfte. 1997 sind 1,6 Milliarden Mark an alleinerziehende Mütter gezahlt worden. 58 Millionen Mark mehr als im Vorjahr.

Trotz der Zahlen sei die Bilanz weit weniger düster, weiß Dieter Korinth, Amtsvormund beim Bremer Jugendamt: „80 Prozent der Väter zahlen, es sind die restlichen 20 Prozent, die uns die Arbeit machen.“ Dazu gehört auch der Vater der 13jährigen: Daß er von der Hand in den Mund gelebt habe, stimmt nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht. Der gelernte Maler hat in den vergangenen fünf Jahren zum Teil zwischen 5.000 und 7.000 Mark netto verdient. Gezahlt hat er trotzdem nicht. Ab und an hat er 250 Mark überwiesen. Das ist gerade einmal soviel, wie der Regelsatz für den Unterhalt eines fünfjährigen Kindes. Nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle haben Kinder vom ersten bis zum fünften Lebensjahr Anspruch auf 349 Mark Unterhalt vom Vater, vom sechsten bis zum elften Lebensjahr auf 424 Mark und von zwölften bis zum 17. Lebensjahr auf 502 Mark. Davon werden 110 Mark Kindergeld abgezogen.

Die Mitarbeiterin vom Jugendamt, die als Zeugin geladen ist, stöhnt. „Ich kann diesen Mann nicht erwischen. Immer wenn ich wußte, daß er Arbeit hatte, war er schon wieder weg.“ Vor dem 1. Juli hat das Jugendamt automatisch nach Geburt eines Kindes die Amtspflegschaft übernommen. Seit dem 1. Juli müssen die Mütter erst einen Antrag stellen, damit die Behörde hilft, Unterhaltsansprüche geltend zu machen.

Irgendwann sei ihr „der Kragen geplatzt“, sagt die Mitarbeiterin des Jugendamtes vor Gericht und sie habe gegen den Vater der 13jährigen Strafanzeige erstattet. Laut Strafgesetzbuch kann ein säumiger Vater mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von vier bis sechs Monaten verurteilt werden. „Wir sind jahrelang nicht vor Gericht gezogen, weil man uns immer den Eindruck vermittelt hat, daß die Verletzung der Unterhaltspflicht ein Kavaliersdelikt ist“, berichtet die Mitarbeiterin des Jugendamtes. Auch Korinth sagt: „Wenn der Vater sitzt, kann er auch nicht zahlen. Die Strafanzeige ist deshalb für uns mehr ein Druckmittel.“ Die Gerichte stellen in der Regel das Verfahren ein, mit der Auflage, den Unterhalt in den nächsten zwölf Monaten pünktlich zu überweisen. Sollte der Vater trotzdem nicht zahlen, droht ihm der Knast. „Eine Geldstrafe halte ich nicht für sinnvoll“, sagt Amtrichter Reinhard Wacker.

Die Geldstrafe treffe die vor allem Familie. Außerdem hätten die säumigen Väter in diesem Stadium des Verfahrens, Zeit genug gehabt, Alimente zu zahlen. Den Vater des 13jährigen Mädchens will Wacker zum nächsten Termin von der Polizei vorführen lassen. Wacker: „Die Verletzung der Unterhaltspflicht ist kein Kavaliersdelikt.“

Kerstin Schneider

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