Der Lümmel von der ersten Bank

Rezzo Schlauch haben die Realos zu ihrem Fraktionschef gekürt. Der Schwabe wird als Seelendoktor der Grünen im Bundestag gebraucht  ■ Von Philipp Maußhardt

Während alle noch nach den neuen grünen Ministerämtern linsen, hat die realpolitische Mehrheit in der grünen Bundestagsfraktion am Dienstag ihren Favoriten für den Fraktionsvorsitz vorgeschlagen: Rezzo Schlauch, der 51jährige Rechtsanwalt aus Stuttgart, soll neben einer zweiten Sprecherin der Fraktionslinken die Rolle übernehmen, die durch Joschka Fischers Wechsel auf die Regierungsbank frei wird.

Daß Fischer selbst, unausgesprochen zwar, aber dennoch deutlich vernehmbar, seinen Freund Rezzo als Nachfolger empfahl, gab für dessen Wahl gegen den Ostdeutschen Werner Schulz nicht einmal den Ausschlag: Spätestens seit er auf dem grünen Parteitag in Suhl im Dezember 1996 allen anderen die Show stahl, ist der selbstbewußte und populäre Schwabe ein Liebling der Partei.

Damals hatte Schlauch gerade bei der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl satte 39,3 Prozent geholt und den Grünen damit ein ganz neues Gefühl der Stärke vermittelt. Hätte die SPD damals nicht an ihrem eigenen Kandidaten festgehalten, dann wäre Rezzo Schlauch wohl heute der Chef der Stuttgarter Stadtverwaltung. Vielleicht ist Schlauch darüber heute sogar froh. Denn was gibt es Aufregenderes, als in den nächsten Jahren aus der Fraktion heraus die rot-grüne Bundesregierung zu stützen.

Schlauch soll in Bonn vor allem eines: die eigene bündnisgrüne Fraktion und mehr noch die Parteigliederungen mit der neuen Regierungsrolle versöhnen. Denn wer 16 Jahre lang immer nur Politik in Opposition zur Bundesregierung machte, „der hat jetzt ein mentales Problem“, sagt Schlauch gegenüber der taz. „Das müssen wir erst einmal aus unseren Köpfen herausbekommen, daß wir nicht mehr nur unsere schönen grünen Projekte verfolgen können, sondern für die gesamte Arbeit einer Regierung mitverantwortlich sind.“

Für eine solche Therapie braucht man keinen geschliffenen Rhetoriker. Oder einen Grundsatztheoretiker. Diese Eigenschaften hat man Schlauch nie unterstellt. Dafür braucht man eher einen Seelendoktor, der dem eigenen Fußvolk liebevoll beibringt, daß Macht für sich genommen noch nichts Schlechtes ist. Keiner lümmelt eben so schön auf einem Abgeordnetensessel und keiner kann sich so schön über grüne Wahlsiege freuen („Des isch saugut!“) wie eben Rezzo Schlauch.

Politisch erstmals richtig aufgefallen ist der schwergewichtige Sohn eines Pfarrers, als er im baden-württembergischen Landtagswahlkampf 1984 unaufgefordert das grüne Stadtbiotop verließ und von einer Bauernwirtschaft zur anderen über die Schwäbische Alb zog und dabei die stockkonservative Landbevölkerung überzeugend niederpolterte. Bier und grüne Politik (heute des öfteren auch mal Champagner) flossen ineinander zu einer Art Zaubertrank, der Schlauch bei seinen häufigen Auftritten so unschlagbar macht.

Nicht zuletzt dieses „Rezzo-Gefühl“ machte die baden-württembergischen Grünen zum stärksten Landesverband innerhalb der deutschen Flächenstaaten. Es ist auch noch ein Dank für Schlauchs erfolgreichen Oberbürgermeisterwahlkampf in Stuttgart. Mit den damals sensationellen 39,3 Prozent im Rücken hat er seiner „Partei vielleicht wie kaum ein anderer ein Gefühl der Stärke vermittelt“. Der taz sagte Schlauch nach zwei Jahren Politikerfahrung in Bonn 1996, er fühle sich „nicht wohl in diesem Politikbetrieb“ und „eingezwängt in ein Korsett“. Eine zu ihm passende Rolle gebe es noch nicht, die müsse man „noch suchen“.

Neben Joschka Fischer blieb Rezzo Schlauch in den vier Jahren seiner Abgeordnetenzeit im Bundestag auffällig unsichtbar. Und so zog es ihn denn auch mit Macht zurück an den Stuttgarter Nesenbach, als hier die Nachfolge von Manfred Rommel als Oberbürgermeister verhandelt wurde. Zwar als Verlierer, aber mit einem deutlichen Votum gestärkt, kehrte er nach Bonn zurück.

Vielleicht hat er jetzt, hier am Rhein, ja seine Aufgabe gefunden. „Für mich ist das die richtige Rolle“, sagt Schlauch zu seinem neuen Amt, „da habe ich die nötige Freiheit, das zu sagen, was ich denke. Ich tauge nicht zum Staatssekretär.“