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Die Geehrte muß warten

Die türkische Regierung läßt die Menschenrechtlerin Ayșe Zarakolu nun doch zur Buchmesse nach Frankfurt reisen  ■ Von Ömer Erzeren

Berlin (taz) – Ayșe Zarakolu, Trägerin des Menschenrechtspreises „International Freedom to Publish“, den der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Internationale Verlegerunion erstmalig in diesem Jahr vergeben, konnte gestern ihren Preis nicht entgegennehmen. Die türkischen Behörden hatten über Wochen hinweg die Verlängerung ihres Passes verweigert und sie somit an der Ausreise gehindert. Erst nachdem es Proteste hagelte, wurde Zarakolu in der Nacht zu gestern dann doch der verlängerte Paß ausgestellt – zu spät für die Teilnahme am Festakt.

Die 52jährige Verlegerin wird allerdings noch auf der Buchmesse erwartet. Zarakolu gründete als erste Frau in der Türkei 1977 den Belge-Verlag. Dutzende Gerichtsverfahren sind gegen sie anhängig, sie war mehrfach im Gefängnis und wurde mit Geldstrafen belegt. Im Belge-Verlag wurde über 350 Titel publiziert. Unter ihnen Bücher zu Themen, die in der Türkei tabu sind, darunter Gedichte, Romane und soziologische oder historische Abhandlungen.

Die Bekannntschaft mit Gefängnissen spielt eine wichtige Rolle im Lebenslauf der Verlegerin. Nach dem Militärputsch 1980 wurde sie wegen dem Buch „Neue Erkenntnisse über die alte Linke“ – der Historiker Mete Tuncay hatte über die türkische Linke Anfang des Jahrhunderts geschrieben – verhaftet. Vier Monate verbrachte sie im berüchtigten Militärgefängnis Metris. In den achtziger und neunziger Jahren folgten immer wieder Polizeihaft, Prozesse und Gefängnisstrafen. Zuletzt 1996 wegen des Buches von Faysal Dagli „Brakuji – der Bürgerkrieg der Kurden“. Als Verlegerin habe sie „separatistische Propaganda“ betrieben, befand das Staatssicherheitsgericht.

Auch wegen der türkischsprachigen Publikation eines Berichtes der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, „Weapon Transfers and Violation of the Laws of War in Turkey“, wurde Zarakolu verurteilt. Mit Herausgabe von Büchern zur Geschichte des Osmanischen Reiches und der Türkei versuchte der Verlag Belge sich der Vergangenheit anzunehmen und politische Gegenkultur zum offiziell propagierten Nationalismus zu schaffen.

Ein mutiger Akt war es, als sich der Verlag entschloß, das Buch „Das armenische Tabu“ von Yves Ternon auf türkisch zu publizieren. Es folgten der „Genozid im internationalen und nationalen Recht“ des armenischen Autors Vahakn Dadrian und Franz Werfels „Die vierzig Tage des Musa Berg“. Als die Staatsanwälte Zarakolu voller Wut vernahmen und später Anklageschriften verfaßten, wußte die Verlegerin: „Wir haben offensichtlich ein tiefverwurzeltes Tabu angekratzt.“ Mit der Verleihung des Preises an die Verlegerin wollen die Internationale Verleger-Union und der Börsenverein Zeichen setzen.

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