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Integrierte Mülltonnenelemente

■ Wenn Kitsch so stark ist, daß selbst der Amerikanische Traum kapitulieren muß: Birgit Bauers Roman „Holy Mood Boulevard“

In einer kleinen Seitenstraßevom Holy Mood Boulevard in Los Angeles steht eine orangerote Mülltonne. Sie ist mit einem altgelbem Sofakissen gemütlich eingerichtet und gehört dem Amerikanischen Traum. Die Bewohnerin (ihr Name bleibt geheim) – ein armes Hamburger Findelkind, per Vertrag bis ans Lebensende an das Domizil gebunden. Einst wurde sie von ihren Rettern aus dem Dreck gefischt, auf ein Brotbrett gesetzt und mit Schundromanen großgezogen. Viele Abenteuer und Schicksalsschläge später findet sich die „German Lady“ im Land der Filmproduzenten und skrupellosen Unternehmer wieder. Ihre Vision: Glück, Ruhm, Reichtum und jeden Tag Speck. Verrat, Mißgunst, Unfälle und unvorhergesehene Katastrophen sind zu überwinden, bis ein Traum wahr werden kann: eine glänzende Edelstahlvilla mit integrierten Mülltonnenelementen.

Die Hamburger Autorin Birgit Bauer jagt die Protagonistin ihres Romans Holy Mood Boulevard durch den Kosmos der bunten Hefte, billigen Fernsehserien und belanglosen Popsongs. Kitsch lauert überall: in Phrasen, Figuren, Schauplätzen und Handlungssträngen. Die Austauschbarkeit der Elemente, die Beliebigkeit, die sich als Logik ausgibt, präsentiert sich hier in der vollen Pracht des Unsinns. Die „letzten Strahlen der heißen kalifornischen Sonne“ wechseln sich pünktlich mit „lauen kalifornischen Neumondnächten“ ab, in denen der Schlaf Stunden, Tage und Wochen dauert. Es wimmelt von „unergründlichen Blicken“, seelischen Erschütterungen, purer Leidenschaft und tiefen Depressionen, doch werden die Phrasen variantenreich kontrastiert: Sätze wie „Eine schwere Hand legte sich leicht auf meine Schulter“ führen das Textbaustein-Prinzip des Schundromans ad absurdum. Mit Kartoffelschalen, Kotztüten und Kinderschuhen aus Rattenleder.

Holy Mood Boulevard ist eine sehr komische, spannend konstruierte Parodie, die sich zugunsten einer phantastischen Welt vielfach von den dumpfen Vorlagen löst. Dort wird die verdurstende blinde Passagierin mit einer Schale Mäusemilch gerettet, und ein wiedergeborener Kater in Mädchengestalt wird ihr als Schutzengel gesandt. Von Petrus persönlich. Vor soviel geballter Schicksalsmacht kapituliert selbst der Amerikanische Traum, der – genauso unerwartet wie alles andere in diesem Buch – den Knebelvertrag schließlich zerreißt. Dann trinkt er seinen Cuba Libre aus, springt in den roten Maserati und gibt Gas. Ergreifend.

Barbora Paluskova

Birgit Bauer: „Holy Mood Boulevard“, Rotbuch Verlag 1998, 219 Seiten, 28 Mark

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