: „Erwartungen heruntersetzen“
■ Über runden Tisch will Justizpolitiker der Grünen Lage im Abschiebeknast Grünau verbessern
Der grüne Abgeordneten Norbert Schellberg hat am Freitag abend auf Bitten des Landeskriminalamtes (LKA) im Grünauer Abschiebegewahrsam zwischen hungerstreikenden Gefangenen und dem Personal vermittelt.
taz: Wie zugespitzt war die Situation im Abschiebknast, daß das LKA die Grünen zu Hilfe holt?
Norbert Schellberg: Eine Hauptforderung der Hungerstreikenden war, mit einem Grünen- Politiker zu sprechen. Das LKA ging offenbar davon aus, mit Erfüllung dieser Forderung die Situation zu befrieden. Bevor mich die Polizei geholt hatte, hatte sie sich den Segen von Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) geholt. Die Stimmung unter den Gefangenen war sehr zugespitzt. Am Freitag abend standen noch 31 Männer im Hungerstreik. Es soll Auseinandersetzungen gegeben haben zwischen Hungerstreikenden und denen, die Nahrung aufnahmen. Die Insassen richten große Erwartungen an einen Wechsel in Bonn.
Welche Forderungen haben Ihnen die Gefangenen vorgetragen?
Ich habe mit zehn ausgewählten Gefangenenvertretern gesprochen. Sie haben mir nachgewiesen, daß einzelne Häftlinge bis zu 18 Monaten einsitzen würden. Darüber hinaus beklagen die Gefangenen, daß Richter oft nur nach Aktenlage entscheiden, die Gefangenen nicht zu Wort kommen zu lassen. Oft würden sie oft deshalb nicht angehört oder ihre Dokumente nicht geprüft, weil sie in anderen Sprachen vorgetragen werden. Gerade wer sein Asylverfahren aus der Haft betreiben muß, kann sich aber weder um einen Übersetzer noch einen Anwalt kümmern. Die Gefangenen haben zudem Angst, in Staaten abgeschoben zu werden, aus denen sie gar nicht stammen. Schließlich wurden auch Bedingungen im Gewahrsam wie Essensqualität und medizinische Versorgung kritisiert. Die Anstaltsärztin würde alle Behandlungen selbst ausführen, hieß es, und Überweisungen zu Fachärzten verweigern.
Wie wollen Sie als Grüner den Forderungen nachgehen?
Wir haben einen runden Tisch mit Vertretern von Polizei, Ausländerbehörde, Justiz, Gefangensprechern und mir vereinbart, an dem Lösungen vorgeschlagen werden sollen. Die Polizei sagte bereits zu, den Beschwerden über Essen und medizinische Versorgung konkret nachzugehen. Da wir als Grüne in Berlin nicht in der Regierungsverantwortung stehen, sehe ich meine Rolle als die eines Notars, der dafür bürgt, die gemachten Versprechen einzulösen. Nachdem auch Polizei und Ausländerbehörde ihre Bereitschaft zum runden Tisch gaben, beendeten die Gefangenen ihren Hungerstreik.
Wäre es nicht vielmehr Ihre Aufgabe, Signale der Häftlinge nach Bonn zu geben?
Ich mußte leider die Erwartungen der Hungerstreikenden an einen Regierungswechsel in Bonn auf ein realistisches Maß heruntersetzen. Ich habe ihnen erklärt, daß eine Änderung des Asylverfahrengesetzes oder die von uns geforderte Altfallregelung für geduldete Flüchtlinge auch bei Konsens in der Koalition Monate dauern, bis sie rechtskräftig sein könnten. Aber viele Zustände ließen sich auch unter den gegenwärtigen gesetzlichen Bedingungen anders regeln, wenn Polizei, Justiz und Ausländerbehörde ihre Arbeit anders organisieren würden. Eine Haft muß ja nicht 18 Monate dauern, nur weil 18 Monate erlaubt sind.
Noch einmal: Werden Sie Ihre Bundespartei bitten, das Asylverfahrensgesetz zu ändern und eine Altfallregelung einzubringen?
Das muß ich nicht. Das ist bei den Grünen Konsens. Interview: Marina Mai
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