: Einmal Gott sein
Das Kino als Tempel: Im Abaton läuft eine Reihe zum Thema „Religiöse Spuren im Film“ ■ Von Oliver Rohlf
Eines steht fest: Das mit dem Menschen, der aus eigener Kraft fliegen kann, wird wohl nichts. Das ist betrüblich, schafft aber Platz für andere Gedankenspiele. Ganz weit vorne – einmal Gott sein. Menschen machen, Schicksale lenken, Sinn stiften. Als bloße Fiktion sicherlich kein Problem, und gerade für weite Bereiche der Kinogeschichte ist der Flug in religiöse Gefilde weniger ein Akt der Ketzerei denn eine melodramatische Antriebsfeder. Wenn auch eine, bei der man leicht ins Schleudern geraten kann, schließlich geht es weniger um den Neuentwurf einer göttlichen Corporate Identity als um Antworten auf essentielle Fragen im Hier und Jetzt.
Die von der Evangelischen Medienzentrale in Zusammenarbeit mit der Katholischen und Evangelischen Akademie initiierte Filmreihe „Götter auf der Durchreise – Religiöse Spuren im Film“ im Abaton hat sich die Interpretation des Filmforschers Georg Seeßlen zu Herzen genommen, der in diesem Zusammenhang vom Kino als „Tempel für einen unbekannten Gott“ sprach und so gleichzeitig auf den wegweisenden wie götzenhaften Charakter des Metiers hingewiesen hat. Genau an diesem Punkt setzt das Festival an. Von Donnerstag bis Ende November geht es weniger um die Leinwand als einen Ort der medialen Apotheose als um die Suche nach filmischen „Antworten zu den Antworten der jüdisch-christlichen Tradition“.
Der Einstieg in die Materie wird leicht gemacht: Im Anschluß an den Director's Cut des Replikanten-Thrillers Blade Runner am nächsten Donnerstag stellt der Theologe Dr. Johann Claussen die weitgefaßte Frage „Was ist der Mensch?“ Mehr Spannung verspricht das Pro-und-Contra-Gespräch zwischen dem Harvestehuder Pastor Dr. Thies Gundlach und Johannes Herrmann von der Evangelischen Medienzentrale, die sich an der aufopfernden wie selbstzerstörerischen Leidensgeschichte der jungen Bess (Emily Watson) zu ihrem gelähmten Ehemann in Lars von Triers Breaking the Waves abarbeiten werden. Immerhin geht es hier um die Grundprinzipien des Martyriums. Ein Thema, das sich auch Robert Duvall in seinem Regie-Debüt Der Apostel vorgenommen hat: Nachdem der Prediger Dewey den Liebhaber seiner Frau ermordet hat, sucht der Gläubige Zuflucht und Frieden im Aufbau einer neuen Gemeinde. Gottesfurcht und Verdrängung treffen aufeinander.
Als der Mega-Clash aus Kitsch, Kommerz und der Idee der Überwindung von Klassenunterschieden durch eine paradiesische Form von Liebe, paßt Titanic von James Cameron ebenso in diese Reihe wie Woody Allens reichlich eitle Selbsstudie Harry außer sich, in der sich der alternde Anti-Star fortwähremd in ein Nest aus neurotischer Urbanität und jüdischem Kleinkrämertum setzt. Den Abschluß bildet die ganztägige Seminarveranstaltung am 28. November, in der anhand von Referaten und Filmausschnitten die religiöse Dimension von Kassenschlagern wie Titanic oder der Truman Show offenbart werden sollen. Religion für jedermann., sozusagen.
Blade Runner: Do, 15., 20 Uhr (anschließend Filmgespräch); Fr, 16., 17 Uhr; Sa, 17., 17.30 Uhr; So 18. Oktober, 11 Uhr. Drei Farben: Rot: Do, 22., 17.30 Uhr; Fr, 23., 17.30 Uhr; Sa, 24., 17.30 Uhr; So, 25. Oktober, 11 Uhr. Breaking The Waves: Do, 29., 17 Uhr; Fr, 30., 17 Uhr; Sa, 31. Oktober, 17 Uhr; So, 1. November, 11 Uhr (anschließend Pro und Contra). Im November wird die Reihe mit Harry außer sich , Titanic , Der Apostel , Teorema , Die Truman Show fortgesetzt
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