: Wenn Kreise kreisen und ZuhörerInnen mit der Zeit blöd sind
■ Erstes Konzert im entstaubten Waller Volkshaus: Baritonsaxophonist Gert Anklam und die Performancekünstlerin Beate Gatscha
Der junge Berliner Baritonsaxophonist Gert Anklam ist ein Genie. Auf geheimnisvolle Weise spaltet er seinen Atemstrom in drei, vier, fünf unabhängige Atembäche und jagt die mit unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten durch sein Blechgewinde. Ein Atemfragment pocht dann zum Beispiel leise, aber flott auf einem Ton vor sich hin, ein anderes wälzt sich ruhig von Ton zu Ton. Die Kunst der Mehrstimmigkeit beherrscht Anklam noch virtuoser als ein Albert Mangelsdorff.
Das einzige, was dieser Meisterschaft Abbruch tun könnte, ist die Tatsache, daß der Musiker nach dem Konzert erzählt, er besitze sie gar nicht, vielmehr würden wir sie uns nur einbilden. In Wahrheit nämlich pendelt Gert Anklam so schnell zwischen sehr tiefen, mittel gelegenen und hohen Tönen hin und her, daß das Ohr irgendwann mal das Mitpendeln aufgibt und eine tiefe, eine in der Mitte gelegene und eine hohe Stimme voneinander isoliert.
Was man also für Zauberei seitens des Künstlers hielt, ist tatsächlich nur Blödigkeit seitens der HörerInnen. Ist das nun faszinierend oder frustrierend? „Auch das Fernsehen mit seinen 24 Bildern pro Sekunde funktioniert nur dank der Trägheit unseres Wahrnehmungsapparats“, meint dazu ein Konzertbesucher. Ausgerechnet das Fernsehen: Das macht die Bewertung des Phänomens nicht unbedingt leichter.
Anklam war zusammen mit Performancekünstlerin Beate Gatscha zu Gast im Soutterain des Waller Volkshauses, das Architekt Richard Jansen in den 20er Jahren erbaute. Die vor einem halben Jahr erst entrümpelte ehemalige Leichenhalle (die taz berichtete) ist möglicherweise Bremens herrlichstes Künstleratelier (in Besitz genommen vom ironisch-autobiographisch arbeitenden Installationskünstler Wolfgang Ablaß) und Bremens perversester, potentieller Konzertraum. Potentiell, weil noch nicht klar ist, wie es mit der Konzertkarriere des gerade erst wachgeküßten Raums weitergeht; pervers, weil im langen Schlauch nur vier Stühle pro Sitzreihe Platz haben. Wenn Gert Anklam nicht gerade sein Baritonsaxophon in Wasser badet und schräge Blubberserenaden melancholisch schalken, dann ist sein Stil tonal, minimalistisch, meditativ. Vor dem Schreck der Überrumpelung ist man gefeit. Ein kurzes Motiv wird zumindest einmal wiederholt (bei Zirkulationsatmung auch zwanzig Mal), ehe die Melodie einfach weitervagabundiert.
Beate Gatscha beseelt Diaprojektionen von eigenen Zeichnungen durch bewegte Fächer, Scheiben, Hände, Arme. Gelbe und blaue Linien auf schwarzem Grund springen zwischen der sturen Wand im Hintergrund und bewegtem Vordergrund in Form der requisitenbestückten Künstlerin hin und her. Ein harmloser Kreis fängt da plötzlich an zu kreisen. Es ist ein komisches Gefühl, wenn ein an und für sich statisches Bild plötzlich unberechenbar wird. Und es ist komisch, daß komische Gefühle so anziehend sind. bk
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