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Generationen-Crash

■ Börse jungfräulicher Stücke. Eine Reihe mit szenischen Lesungen in der Vagantenbühne

Es ist die Nacht vor einem Castor-Transport. Im Wald am Rand der Bahnstrecke zelten Zäp und Lilly, ein junges Autonomenpaar. Aber dieser Transport, gegen den die beiden wohl am anderen Tag demonstrieren wollen, entpuppt sich schnell als ein ziemlich vager Anlaß für ihr Kommen. In Wahrheit wollen sie etwas erleben, etwas fühlen, irgendeine echte Erfahrung machen. Natürlich sind Zäp und Lilly ziemlich coole Helden, schließlich sind wir in einem Gegenwartsstück, und da läuft nichts ohne die latente Bereitschaft zur Gewalt. Filme wie „Trainspotting“ und „Natural Born Killers“ lassen grüßen.

Aber Autor Peter Laudert läßt die Kirche im Theater und hat ein spannendes Zeitstück geschrieben. „Spalter“ heißt es, und geschrieben hat es der 1969 geborene Peter Laudert, Student der Klasse für Szenisches Schreiben an der HdK. Vier Schauspieler – Andreas Maier, Christine Rollar, Augustin Kramann und Maria Gräfe – skizzieren die Figuren mit ein paar darstellerischen Pinselstrichen. Keine Inszenierung, denn dazu fehlte das Geld, sondern eine szenische Lesung. Damit wurde am Sonntag vormittag eine Reihe von Lesungen eröffet, mit denen diese Neugründung eines Berliner Uraufführungstheaters nun zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung tritt. Zu Gast ist man in der Vagantenbühne an der Kantstraße.

„Mit dir kann man bloß ganz banal unglücklich sein“, sagt Lilly zu Zäp, und sie vermißt ein großes Gefühl. „Das haben wir denen zu verdanken!“ Wer mit „denen“ gemeint ist, erfährt man, als das zweite Paar auftaucht: Martha und Philipp, zwei intellektuelle Mittvierziger aus einer Bürgerinitiative – Modell „Altachtundsechziger“ –, die sich im Wald verlaufen haben. Auch sie wollen am nächsten Tag gegen den Castor-Transport demonstrieren. Es kommt zum Crash von zwei Generationen, zwei Weltbildern, aber Gott sei Dank nicht von zwei Klisches. Das Weltbild der Älteren ist ausgehöhlt von einem geballten Theoriesortiment, mit dem man sich noch die banalsten Gefühle vom Leibe hält, das der Jungen vom Erfahrungsersatz der Medien. Die vier versuchen, sich zu verständigen, sich näherzukommen. Doch die Begegnung endet in der Katastrophe.

„Es soll ein Ort geschaffen werden, wo man neuere Dramatik zur Kenntnis nehmen kann“, erkärt der Dramatiker Oliver Bukowski, der künstlerische Kopf des Unternehmens, noch einmal das Konzept für ein Uraufführungstheater. „Es soll auch eine Börse werden für ganz jungfräuliche Stücke. Verleger können sich informieren, Theaterleute auch.“ Vorbild ist das Londoner Royal Court Theater, die Nachwuchsschmiede des britischen Theaters, das wohl spätestens nach den Berliner Festwochen nicht mehr bloß Eingeweihten ein Begriff sein dürfte. Bis jetzt lebt das Uraufführungstheater allein vom Willen seiner Macher. Fördergelder wurden beantragt, man bemüht sich außerdem um private Sponsoren. Und man kann nur hoffen, daß das Projekt Fuß faßt in Berlin und es bald Geld gibt, damit die Stücke auch inszeniert werden können. Esther Slevogt

Nächste Termine: 25.10., Jean- Michel Räber: „Unter Palmen“, 8.11., Alissa Walser: „Das Entzücken“, jeweils 11.15 Uhr, Vagantenbühne, Kantstr. 12 a, Charlottenburg

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