: Ohne Papa soll es gehen
Schon länger schwächelt Radio Bremen. Doch seit die Regierung von SPD und CDU den Intendanten per Gesetz stürzen will, ist die Lage völlig zerfahren ■ Aus Bremen Christoph Köster
Sie wollen ihn loswerden, und das mit fast allen Mitteln. Sie, das sind die Spitzen der großen Koalition in Bremen, allen voran Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und seine Senatskanzlei. Er, das ist Karl-Heinz Klostermeier, seit 13 Jahren Intendant des Minisenders Radio Bremen. Anfangs wollten die Politiker nur einen Neuanfang beim kleinsten ARD-Sender einleiten, doch dann steigerte sich ihr Vorhaben zum Amoklauf.
Die Geschichte begann am 29. September. Am späten Abend verbreitet die Senatskanzlei per Telefax auf zwei Seiten eine Lobeshymne auf Radio Bremen und das vierköpfige Senderdirektorium, dem der 62jährige Klostermeier vorsteht. In zwei Sätzen brechen die Autoren unversehens mit der freundlichen Prosa: Man wolle einen „frühzeitigen Neuanfang“ und die „Übergabe der Verantwortung an eine neue Leitungsgeneration“. Für den „Stabwechsel“ solle eine schon seit Monaten geplante Neufassung des Radio-Bremen-Gesetzes erweitert werden: Mit Ablauf dieses Jahres soll demnach auch die Amtszeit der Senderchefs enden.
Das Echo folgte prompt: Die Grünen sprechen vom „Putsch“, die FDP von „Machtmißbrauch“, die Wählergemeinschaft AfB von „durchgeknallten Sicherungen“, Radio-Bremen-Personalrat und -Redakteursausschuß von „einem beispiellosen Eingriff in die Unabhängigkeit des Rundfunks in Deutschland“. Ähnlich empört äußern sich die Vorsitzenden von Rundfunk- und Verwaltungsrat, Medienrechtler melden verfassungsrechtliche Zweifel an. Intendant Klostermeier kündigte Verfassungsbeschwerde an. Er habe, so heißt es, trotz Drängens des Bürgermeisters nicht freiwillig abtreten wollen und damit bei diesem einen Wutausbruch ausgelöst.
Alle Akteure in dem Schauspiel haben ein Lieblingswort: Heuchelei. Es sei Heuchelei von Radio- Bremen-Mitarbeitern, das Vorgehen der Senatskanzlei zu kritisieren und zugleich über ihre Chefs zu schimpfen, sagt CDU-Landeschef Bernd Neumann. Es sei Heuchelei von den Koalitionären, ihre Personalentscheidung per Gesetz jetzt zu leugnen, schimpfen Vertreter der Arbeitnehmerkammern im Rundfunkrat. Und: „Es ist eine entsetzliche Heuchelei, jetzt von einer Verletzung der Staatsferne zu sprechen“, sagt ein Radio-Bremen-Abteilungsleiter: Schon immer sei jede Rundfunkratsentscheidung in Parteibüros ausgekungelt worden.
Das Vorspiel für das Spektakel begann während einer ARD-Intendantenkonferenz Mitte September. Anders als 1996, als Karl- Heinz Klostermeier eine Fortsetzung des ARD-Finanzausgleichs bis Ende 2000 durchsetzte und dafür selbst von der CDU Lob einheimste, wurde er diesmal vor die Tür gebeten. Die Intendanten der großen Sender wollen Ernst mit einer Kürzung des Finanzausgleichs machen, aus dem Radio Bremen mit 80 Millionen Mark über 40 Prozent seines Etats erhält. Doch anders als seinen Kleinsender-Kollegen vom Berliner SFB und dem Saarländischen Rundfunk blieb Klostermeier eher kleinlaut. Statt auf den Tisch zu hauen, bat er „die Politik“ um Hilfe, was gar nicht gut ankam: „Ich habe die ganze Zeit gewartet, daß nun, wie in den anderen Intendanzen, eigene Konzepte erarbeitet werden, mit der man als Ministerpräsident zu den Kollegen gehen und sagen kann, wir tragen dazu bei, daß es einen Konsens gibt. Ich habe mich in dieser Beratung allein gefühlt“, beschwerte sich Henning Scherf in einem Radio-Bremen-Interview.
Beleidigt konterten Intendant Klostermeier und Verwaltungsratsvorsitzender Thomas von der Vring: „Uns ist nicht ein einziger Vorwurf gemacht worden.“ Von der Vring, wie Klostermeier SPD- Mitglied, sagt mit Blick auf Fortschritte in den Kooperationsverhandlungen mit dem großen Nachbarn NDR sogar: „Der Bürgermeister lobt uns über den grünen Klee und klopft mir auf die Schulter. Und dann fordert er: Das Direktorium muß weg.“
Die Nerven der Bremer Politiker reizt nicht nur das derzeitige Agieren des Intendanten. Schon seit fast zehn Jahren verliert das Flaggschiff der vier Radio-Bremen-Wellen, das Massenprogramm „Hansawelle“, dramatisch viele HörerInnen. Der zuletzt knapp wiedergewählte Hörfunkchef Hermann Vinke verweist auf ähnliche Entwicklungen in anderen Großstädten. Zweitens: Die Fernsehabteilung läßt sich fast widerspruchslos im dritten Programm N3 vom Partner NDR an den Rand drängen. In der ARD fällt sie durch billigen Klamauk („Ohne Mama geht es nicht“) oder wenig gelobte „Tatort“-Produktionen auf und kaum mehr durch innovative („Beatclub“), freche („Extratour“) oder längst Klassiker gewordene Beiträge („Loriot“). Dem Fernsehdirektor Rüdiger Hoffmann sagen Bremer Lästermäuler nach, sich mehr für sein Hobby Pferdesport zu interessieren. Klostermeier zeigt derweil auf „die Politik“: Deren Attacken schadeten Radio Bremen, lautet seine litaneihaft wiederholte Kritik.
Die Klage der Koalitionäre über fehlende Konzepte ist Teil einer völlig verfahrenen Situation. In die Verhandlungen mit dem NDR über ein gemeinsames Nordwestradio habe das Direktorium regelrecht geprügelt werden müssen, sagen Bremer Politiker. Es fehlten nennenswerte Sparvorschläge, hört man auch beim NDR. Doch die Lage ist komplizierter. Denn die unabhängige Rundfunkgebühren-Kommission KEF würde womöglich jedesmal, wenn der Sender eine Mark gespart hat, seinen Finanzbedarf entsprechend geringer ansetzen: „Jede Einsparung“, sagt Verwaltungsratschef von der Vring, „wäre von der KEF sofort kassiert worden.“
Klostermeiers Kritikern gelang es bisher nicht im Rundfunkrat die nötige Zweidrittelmehrheit für die Abwahl des Intendanten zu organisieren. Deshalb wollen sie ihn nun per Gesetz aus dem Amt hebeln. Heute berät der Medienausschuß des Bremer Parlaments. Im Vorfeld zeichnete sich ab, daß die Senderchefs im nächsten Jahr noch einige Monate länger amtieren dürfen – danach soll freilich Schluß sein: „Die Gesetzesnovelle wird im Prinzip so kommen“, sagen Koalitionsvertreter. KandidatInnen für eine neue Senderführung können sie allerings noch nicht präsentieren. Dabei: Unter den vielen genervten, ängstlichen und entsetzten Gesichtern auf den Fluren Radio Bremens sind auch einige, die verdächtig strahlen und geduldig auf ihre Chance warten.
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