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Milošević kapituliert vor Nato-Bomben

■ Nach der Einigung mit Holbrooke atmen die Menschen in Serbien auf. Erstmals seit Beginn der Krise in Jugoslawien hatten sie Kriegsangst

Gestern um 13 Uhr wandte sich Jugoslawiens Bundespräsident, Slobodan Milošević, auf allen drei Programmen des staatlichen Fernsehens an sein Volk: „Wir konnten eine Vereinbarung über die Verifikation der Forderungen des UN- Sicherheitsrats im Kosovo erzielen. Trotz des enormen Drucks haben wir es geschafft, die Interessen und die Würde unseres Landes zu bewahren. Wir konnten erreichen, daß die Probleme in der südlichen serbischen Provinz friedlich gelöst werden.“

Jugoslawien atmet auf. Die Menschen, die seit Tagen in einer bedrückenden Angst vor Nato- Luftangriffen leben, Luftschutzbunker aufräumen, ihre Kinder aufs Land in Sicherheit schicken, können ihre Freude nicht verbergen. Milošević' kurze Ansprache wurde von der Bevölkerung als Erlösung empfunden. Daß es eigentlich die Kapitulation Milošević' und seiner ein Jahrzehnt langen Politik im Kosovo ist, scheint das Volk angesichts der Erleichterung nicht zu stören. Noch von einem halben Jahr sprach sich das gleiche Volk in einem Referendum sogar gegen eine internationale Vermittlung im Kosovo aus – von einer Stationierung internationaler Beobachter und der Kontrolle des Luftraums durch die Nato war damals nicht die Rede.

Das Timing des glänzenden Taktikers Milošević war perfekt. Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Krise im ehemaligen Jugoslawien verspürten die Bürger Serbiens eine physische Angst vor dem Krieg. Und als die Furcht vor Nato-Bomben ihren Höhepunkt erreichte, lenkte Milošević ein und zog sich aus dem Schlamassel als unersetzlicher Friedensstifter heraus. So bleibt die Macht des jugoslawischen Präsidenten, obowhl er einen Teil der jugoslawischen Souveränität im Kosovo verspielt hat, vorerst unberührt.

Genau wie bei den Friedensverhandlungen über Bosnien in Dayton hat der unermüdliche amerikanische Unterhändler, Richard Holbrooke, im Alleingang alles erreicht, was er wollte. Die uneinigen Europäer durften den Amerikaner unterstützen, der sie gelegentlich über die Resultate seiner Marathonverhandlungen mit Milošević informierte. „Die Krise ist zwar noch nicht vorbei, aber wir haben uns auf eine Überwachung im Kosovo sowohl vom Boden aus als auch aus der Luft geeinigt“, erklärte in Belgrad der sichtlich erschöpfte Holbrooke zufrieden.

Der Großteil der jugoslawischen Bevölkerung wußte weder, worüber Milošević mit Holbrooke verhandelte, noch welche Zugeständnisse er machen mußte. Die unmittelbare Kriegsgefahr in Jugoslawien ist jedenfalls vorbei, ein Teil der US-Diplomaten kehrte gestern schon in ihre Botschaft in Belgrad zurück. Mühselige Verhandlungen über die Autonomie Kosovos stehen allerdings bevor. Andrej Ivanji, Belgrad

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