: Mittelstand hat Angst
■ Verband fürchtet, daß rot-grüne Steuerreform die Betriebe ins Ausland treibt
Berlin (taz) – Die mittelständischen Unternehmer in Deutschland haben Angst. „Es herrscht keine Weltuntergangsstimmung“, sagte gestern Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), aber seit dem 27. September werde er „von morgens bis abends angerufen“. Denn nach „dem Schock der Wahl“ sei die Stimmung doch sehr schlecht. Da hat Ohoven den mittelständischen Unternehmer am Telefon, der bereits in Polen produziert und seine 3.000 Arbeitsplätze in Deutschland unter einem SPD-Kanzler auch ins Ausland verlagern will. Dann ruft ihn der Selbständige an, der seinen Betrieb verkaufen wollte und nun die Steuerreform fürchtet, die ihm vom Erlös gerade mal die Hälfte übriglassen würde.
Seitdem sicher ist, daß die Bundesregierung rot-grün sein wird, wollen knapp 36 Prozent der Mittelständler ihre Betriebe verkaufen, 25 Prozent überlegen, ins Ausland zu gehen. Das zumindest geht aus einer Umfrage des BVMW unter 1.000 Unternehmern hervor. 800 von ihnen waren unzufrieden mit dem Wahlergebnis. Allerdings hatte der Verband vor der Wahl die vergangene Regierungskoalition gefördert. In seiner Mitgliederzeitung erfolgreich selbständig veröffentlichte der BVMW im September zehn Wahlprüfsteine. „Weitgehende Übereinstimmung“ mit den Zielen des Verbandes erreichte in allen Punkten nur die FDP. Dicht folgte ihr die CDU.
Angst hat der Verband auch davor, in Bonn keinen Einfluß mehr zu haben. Früher habe es doch bestimmte „Korrekturmöglichkeiten“ gegeben. Auf dem langen Weg eines Gesetzes aus dem Kabinett über die Referenten, Ausschüsse und zurück konnte der Verband eingreifen. Unter Rot-Grün muß der BVMW neue Kanäle freilegen. Die erste Schwierigkeit offenbart sich bei der Steuerreform, über die sich Mario Ohoven gestern in Berlin besonders aufregte. Sie werde zu steigender Arbeitslosigkeit und einer Pleitewelle führen. Das abgespeckte Wirtschaftsministerium unter dem Unternehmer Jost Stollmann konnte ihn nicht beruhigen. Denn die Fäden würde Finanzminister Lafontaine ziehen, und im „Finanzministerium ist der Mittelstand seit jeher schlecht aufgehoben“. Für Ohoven gibt es nur eine Lösung: „Einen Mittelstandsbeauftragten im Kanzleramt“. Ulrike Fokken
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