Die küssende Monarchin

Bei den Lesbisch-Schwulen Filmtagen wurde dieses Jahr Vanessa Redgrave zur weiblichen Ikone der Lesben gekürt  ■ Von Birgit Glombitza

Ich war immer Kim Novak. Oder Romy Schneider oder Grace Kelly oder Audrey Hepburn. Da gab's keine langen Diskussionen. Und meine Freundin spielte Cary Grant, Robert Redford, den Seewolf, zur Not James Stewart oder Kaiser Franz. Dann tanzten wir traumverloren das, was wir für einen angemessenen Walzer im kaiserlichen Spiegelsaal hielten, auf die „Brot für die Welt“-Platten unserer Eltern. Zu Richard Strauss, Doris Day und Cindy & Bert. Unsere Bettlakenroben raschelten dazu verheißungsvoll. Und manchmal küßten wir uns mit innig rollenden Augen, die Zungen brav nach hinten in die Backentaschen gerollt, und wackelten, um unsere kompromißlose Leidenschaft zu unterstreichen, dabei heftig mit dem Kopf. So machten das schließlich auch unsere Ikonen. Wie sie wünschten wir allen neidischen Intriganten und Verschwörern im Hofstaat ewige Verdammnis und die Pest an den Hals. Und selbstverständlich wären wir für unsere Liebe x-mal gestorben, bevor wir zum Abendbrot nach Hause mußten.

Die Magie der großen Hollywoodstars bot seit jeher eine geräumige Spielwiese, um auszutesten, zu welcher Art Töpfchen oder Deckelchen man sich denn nun zugehörig fühlte. Und weil Rollenspiel und Maskerade in der schwulen und lesbischen Subkultur einen zentralen Stellenwert haben, bedienten sich auch beliebte Lesbenstereotypen wie „butch“ oder „femme“ gerne filmischer Vorlagen. Und keiner Zensur gelingt es, die Phantasien im dunklen Kino-saal zurechtzustutzen.

Von Vanessa Redgrave in Great Moments in Aviation, die nach einer Vorab-Publikumsabstimmung zu den Lesbisch-Schwulen Filmtagen im Internet und in den lokalen Printmedien zur Spitzenreiterin gekürt wurde, bis Louise Brooks in Beggars of Life, der die verbotene Lesbenlust der 20er und 30er Jahre so manche sehnsuchtsvollen Momente in Breitwandformat verdankt.

Offensiv lesbische Frauen gab es im Kino zumeist als verschlagene Vampirin, als nach Lavendel duftende, schlechtgelaunte Jungfer, die es auf kleine Mädchen abgesehen hat, um sie für immer für den Heiratsmarkt zu versauen, oder als letzte sexuelle Herausforderung für den Mann. Die Abwesenheit sich selbst überlassener Homoerotik schärfte um so mehr den Blick für die kleinsten Ambivalenzen. Und das Kino spielte bei der glamourösen Ausmalung lesbischer oder schwuler Sehnsüchte stets eine wichtige Rolle. Schon G.W. Pabst präsentierte in Die Büchse der Pandora (1928) mit der Gräfin Geschwitz die erste handgreifliche Lesbe, die zwar zu Lulus Hochzeit ihren Tweedanzug ablegte, nicht jedoch ihre Leidenschaft. Dabei waren es nicht zuletzt die eigensinnigen Stars wie Marlene Dietrich in Confidential und Marokko oder Katharine Hepburn in Sylvia Scarlett, die sich hartnäckig gegen Drehbücher und Regisseure stemmten, wenn es darum ging, Frauenliebe nicht nur zur exotischen Attitüde verniedlichen zu lassen.

Louise Brooks genoß ihr „Lulu“-Image für beide Geschlechter in vollen Zügen. An jedem Gerücht um eine neue Affäre mit diversen Revuemädchen malte sie sogar eifrig mit und machte auch aus ihrer Liaison mit Greta Garbo keinen Hehl, bis Produzenten und Manager gegensteuerten und das Geschäft mit männlichen Wunschbildern der Göttlichen durch herbeigesponnene Hetero-Affären ankurbelten. Trotzdem war es Greta Garbos Königin Christina, die mit ihrem pointierten und mutigen Spiel Rouben Mamoulians Regieanweisungen zarter Andeutungen unterlief und dem lesbischen Publikum eine Sternstunde verbotener weiblicher Sehnsüchte bereitete. Mußte sich die Königin gegen Garbos Einwände auch in einen Mann verlieben, sorgte die Mimin doch dafür, daß die Monarchin die Gräfin Ebba herzhaft auf den Mund küßte und jede Ankleide-Szene zum höchst intimen Akt zwischen Christina und ihrer Zofe geriet. Als ihr dienstbeflissener Kanzler sie warnt, sie werde noch als alte Jungfer enden, korrigiert die Königin ihn trocken: „Keineswegs, ich werde als Junggeselle sterben.“ Und ihr legendäres Credo: „Man kann durchaus Sehnsucht nach einem Ort haben, den man niemals zuvor gesehen hat“ wurde zur Prophezeiung. Denn ein Jahr später, 1934, kamen auch die zartesten Winke gleichgeschlechtlicher Attraktionen auf der Stelle auf den Index. Und die filmischen Ersatzparadiese für schwules und lesbisches Begehren waren daraufhin lange nicht mehr gesehen.

Daß Greta Garbo neben Louise Brooks, Katharine Hepburn, Vanessa Redgrave, Jodie Foster, Susan Sarandon oder Sigourney Weaver den Olymp lesbischer Schwärmereien bevölkert, ist Ehrensache. Und dort oben dürfte es nach den Lesbisch-Schwulen Filmtagen wieder etwas voller werden.

Die Lesbisch-Schwulen Filmtage Hamburg laufen vom 20. bis zum 25. Oktober. Einen ausführlichen Bericht lesen Sie am Dienstag in der taz Hamburg.