: "Wir sind alle keine Propheten"
■ Wann kommt der Atomausstieg? Der designierte Bundesumweltminister Trittin zur Koalitionsvereinbarung. Spätestens im November 1999 sollen die Betriebserlaubnisse der AKW befristet werden. Weitere Castor-Tran
taz: 20, 30 Jahre, meint der künftige Bundeskanzler Schröder, wird ein Atomausstieg im Konsens dauern. Ist das nun auch die Linie von Rot-Grün?
Jürgen Trittin: Nein, im Unterschied zu bisherigen Konsensversuchen werden wir unmittelbar nach Regierungsantritt die Förderung der Atomkraft aus dem Atomgesetz streichen. Die Novelle verpflichtet außerdem alle AKW-Betreiber zu einer Sicherheitsüberprüfung ihrer Anlagen. Schließlich wird auch die Wiederaufarbeitung der Brennelemente unterbunden durch die gesetzliche Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung. Bis spätestens November 1999 werden wir dann die geltenden Betriebserlaubnisse der AKW gesetzlich befristen. Nicht weit entfernt von den Vorstellungen Gerhard Schröders liegt etwa eine Höchstbetriebsdauer für AKW von 25 Jahren, wie sie der hessische Entwurf eines Ausstiegsgesetzes vorgeschlagen hat.
Dieses Ausstiegsgesetz kannte ja auch noch weitere, kürzere Fristen. Außerdem sieht es eine Stilllegung 25 Jahre nach Inbetriebnahme der AKW vor, während Schröder die letzten AKW, die ja schon 13 Jahre alt sind, von heute ab gerechnet noch 20, 30 Jahre laufen lassen will.
Das ist Ihre Rechnung. Ich selbst bin immer davon ausgegangen, daß Schröder bei seinen Aussagen zum Atomausstieg genauso rechnet wie der hessische Entwurf eines Ausstiegsgesetzes, bei dem die Ausstiegsfristen ab Betriebsbeginn der Atomkraftwerke gelten. Im übrigen irrt der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner, wenn er nur von einer möglichen gesetzlichen Befristung des AKW-Betriebs spricht. Es wird nämlich in jedem Fall eine gesetzliche Befristung des AKW- Betriebs geben, unabhängig davon, wie die Konsensgespräche in einem Jahr ausgegangen sind. Im Falle eines Konsenses sind die vereinbarten Restlaufzeiten in Gesetzesform zu gießen. Bei einem Dissens wird die Koalition den weiteren AKW-Betrieb ohnehin gesetzlich befristen.
Aber in Konsensverhandlungen wird die SPD den Schulterschluß mit den Betreibern suchen. Die Grünen wollen mehr Tempo beim Ausstieg machen, so daß am Ende auf die Koalition die jetzt ausgeklammerten Zeitfragen wieder als Streitpunkte zukommen.
Man hat diese Fragen nicht ausgeklammert, sondern man hat sich für ein insgesamt vernünftiges Verfahren entschieden, das an der Ernsthaftigkeit des Ausstieges, an der Beendigung der Atomstromproduktion keinen Zweifel aufkommen läßt. Das Verfahren setzt eindeutige Fristen für die einzelnen Schritte zum Ausstieg. Wenn man überhaupt über einen Konsens verhandeln will, kann man den wichtigsten Punkt, die Gesamtlaufzeiten, nicht vorab festlegen. Sonst sind es keine Verhandlungen mehr.
Was ist denn nun Ihre persönliche Prognose – wann wird in der Bundesrepublik das letzte AKW abgeschaltet?
Wir wollen den Ausstieg so schnell wie möglich verwirklichen, aber wir sind alle keine Propheten. Aus dem gleichen Grunde stand schon im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen lediglich, daß der sofortige Ausstieg möglich ist und daß wir den schnellstmöglichen Ausstieg anstreben. Diese Vorgaben unserer Partei werden jetzt in der Koalitionsvereinbarung eins zu eins umgesetzt.
Aber 20, 30 Jahre kann diese Umsetzung eben dauern?
Das sind Spekulationen, die uns jetzt die ganze Zeit begleiten werden, die aber spätestens im November 1999 mit einem Gesetzentwurf beantwortet sein werden.
Beantwortet oder widerlegt?
Beendet sein werden.
Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung setzt sich eine weitgehende Vermeidung von Atommülltransporten zum Ziel. Was heißt weitgehend?
Niemand kann versprechen, daß es keine weiteren Atomtransporte gibt. Zur Zeit sind sie wegen der Grenzwertüberschreitungen an den Behältern nicht möglich. Aber allein in La Hague in Frankreich warten 3.500 Tonnen Abfälle aus der Wiederaufarbeitung auf den Rücktransport in die Bundesrepublik, die zur Rücknahme vertraglich verpflichtet ist. In der Bundesrepublik ist bisher eine Lagerung dieser Glaskokillen nur in Gorleben genehmigt. Wenn keine Vereinbarung mit Frankreich gelingt, kann es zu entsprechenden Transporten kommen. Zur Vermeidung von Atomtransporten sieht die Koalitionsvereinbarung vor allem aber die Schaffung von Zwischenlagern an den Kraftwerksstandorten vor.
Die Vereinbarung schließt doch aber bis zur Errichtung dieser Trockenlager an den AKW-Standorten weitere Brennelementtransporte für den Fall nicht aus, daß Betriebsstillstände durch volle Abklingbecken drohen.
Zur Zeit sind Transporte aufgrund der ungelösten technischen Probleme nicht möglich. Wenn diese Probleme gelöst sind, könnte es zu einer solchen Situation ohne Zweifel kommen. Deswegen haben wir bewußt vorsichtig gesagt, man muß alles tun, um Transporte zu vermeiden. Die Vermeidung kann uns gelingen, ausschließen können wir Transporte aufgrund der Rechtsansprüche der Betreiber nicht.
Die Auslandswiederaufarbeitung soll beendet werden, aber wegen der vertraglichen Bindungen der Betreiber nicht abrupt.
Nach meinem Kenntnisstand werden alle Verträge bei einem gesetzlichen Verbot der Wiederaufarbeitung hinfällig. Dies vorausgesetzt, wird die Wiederaufarbeitung sofort beendet.
Das Endlager Morsleben soll definitiv geschlossen werden, es ist nur noch ein Endlager für alle Arten radioaktiver Abfälle vorgesehen. Schacht Konrad wird in ihrer Vereinbarung nicht erwähnt.
Das eine Endlager muß ja auch hochaktive Abfälle aufnehmen. Dafür ist Schacht Konrad nicht geeignet. Damit gibt es keinen Bedarf mehr für dieses Endlager in Salzgitter.
Und für den Salzstock Gorleben?
In Gorleben wird die Erkundung unterbrochen. Anschließend sollen Standorte mit unterschiedlichen Wirtsgesteinen auf ihre Eignung untersucht werden. Am Ende wird es einen Standortvergleich geben, auf dessen Grundlage dann eine Entscheidung über das eine künftige Endlager fällt. Interview: Jürgen Voges
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