Meine Straße
: Wo Ahornbäume noch jung und die Ärzte gut sind

■ Kurz ist sie, eine Einbahnstraße eben. Vieles ist nicht perfekt, das eine oder andere liegt im argen, verkehrstechnisch geht's jedoch nicht besser

Erst habe ich gedacht, daß lohnt ja gar nicht, über meine kleine Straße zu schreiben. Die andern haben es gut, die wohnen in großen Straßen mit Kulturstätten oder Prominenten als Nachbarn. Bei mir gibt's nicht mal einen Imbiß. Nur Massen von Hundescheiße. Friedrichshain eben.

So hundert Meter lang ist die Ebelingstraße, eine Einbahnstraße, von der Petersburger Straße abgehend. Rechts an der Ecke gibt es immerhin ein richtig großes Geschäft. Hörgeräte, Brillen und Contactlinsen (mit „C“) gibt es zu kaufen. Ein paar Meter weiter das Haus mit der Nr.1, die ganze Straße bringt es auf ganze siebzehn Hausnummern.

Die Nr.1 ist blaßocker saniert. Als schöner Kontrast steht die Nr.2 im dunkelgrauen Spritzputz da. Man weiß nicht so genau: Wurde es so schon zu DDR-Zeiten saniert oder doch erst nach der Wende? Spritzputz auch am Haus daneben, nur in einem hellerem Grauton. Unten hat es sich ein kleiner Elektroladen bequem gemacht. Die Gebäude mit den Nummern 4 bis 8 sehen alle gleich aus. Grau, mit einigen leerstehenden Wohnungen oder Gewerberäumen im Parterre, die Jalousien sind heruntergelassen. In einem Fenster hängt ein Schild mit dem Schriftzug „Felicitas“. So hieß mal eine Feuerwehr in einem DDR-Trickfilm. Irgendwie sieht die ganze rechte Seite der Straße nach DDR aus. Alles schön alt.

Nur die 20 Ahornbäume sind ziemlich jung, vielleicht zehn Jahre alt. Und das Haus an der Ecke zur Ebertystraße, in Windeseile auf einer Freifläche hochgezogen, ist neu. Seit etwa einem halben Jahr wohnen Leute in dem hellgrünen Bau. Der Laden im Parterre ist noch leer. Wer will schon in so einer kleinen Straße einen Laden neu eröffnen? Nur die Alteingesessenen, wie der Computerladen in der Nr. 9, halten durch.

Interessant wird es auf dieser Seite eigentlich nur in der Nummer 7. Da muß im Erdgeschoß ein Künstler wohnen. Der hat seine Fenster mit allerhand Zeugs beklebt. Kunstbilder, Fotos, Texte, ein Zeitungsausschnitt mit der Schlagzeile „Die Diskussion muß weitergehen“. Fragt sich welche? Über die Botschaften des Mieters vielleicht? Nur komisch, daß an seinem Briefkasten gleich in vier Sprachen gewarnt wird: „Unbefugtes Herumstehen untersagt!“ Da wechselt man lieber auf die andere Seite.

Die fängt an der Ecke zur Ebertystraße mit einem Plattenbau, der Nr. 11, an. Der wurde gerade saniert, hilft aber auch nicht viel. Der Sockel ist mit Mauersteinimitaten beklebt. Wegen der Optik, denn der Neubaublock wurde mitten in ein zusammenhängendes Architekturdenkmal gezwängt. Zwischen der Ebeling-, Weisbach-, Eberty- und Kochhanstraße erstreckt sich das Weisbach-Viertel.

Einmal konnte ich mit meinem Wohnsitz am Weisbach-Viertel im Soziologieseminar ein bißchen angeben. Der Professor fragte, wo wohl Weisbach gebaut hätte. Keiner wußte es. Da konnte ich erzählen: Bei mir zu Hause. Valentin Weisbach (1843–1899) engagierte sich für die Verbesserung der Berliner Wohnungssituation. Licht und Luft für kleine Leute in schöner Backsteinbauweise. Gerade frisch saniert, sieht das einfach klasse aus. Was man so vom Rest der Straße, den Häusern Nr. 15 bis 17, nicht gerade sagen kann. Eins ist saniert, so komisch gelb mit roten Fenstern. Hier praktiziert ein guter Orthopäde, wie eine Nachbarin erzählte. Auch eine Praxis für Physiotherapie hat hier ihren Sitz. Überhaupt die Ärzte. In Nr. 13 und 14 sind ein Allgemeinmediziner und ein Kinderarzt zu finden. Nicht schlecht für so eine kleine Straße, die nach Emil Ebeling (1801–1883), Kommerzienrat und Stadtverordneter, benannt ist.

Die beiden letzten Häuser dämmern einer Sanierung entgegen. Eins davon ist meins. Ist halt total billig, mehr aber auch nicht. Dafür gibt es zehn Meter weiter an der Ecke eine Apotheke. Ein Stück die Petersburger entlang liegen „mein“ Fleischer und Bäcker. Die Damen der Backstube kennen mich, da muß ich nicht mehr den Namen nennen, wenn ich mein Dänisches Kernebrot bestelle. Und beim Fleischer arbeiten seit kurzer Zeit Lehrlinge. Ist manchmal lustig, wie unbeholfen die Azubis 300 Gramm Hackepeter abwiegen. Dann grinst man zusammen mit dem Fachpersonal. Oder nimmt Anteil am Familienleben, wie man das prima bei den Vietnamesen vom China-Imbiß um die Ecke machen kann. Die Chefin hat vor drei Monaten ihr erstes Kind bekommen. Da beglückwünscht man die Eltern. Vergangene Woche habe ich den Nachwuchs zum ersten Mal gesehen.

Vorzüge ohne Ende. Mal ganz abgesehen von der Nacht-Tram aus Prenzlauer Berg und vom Nachtbus aus Kreuzberg, die beide sozusagen vor meiner Haustür halten. Bequemer geht's nicht. Andreas Hergeth