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Heimatloser Pendler

■ Muzaffer Karaca hat eine Wohnung in Istanbul. Wegen der Kinder lebt der Renter aber in Berlin

Das Leben von Muzaffer Karaca ist nicht unbedingt nach Plan verlaufen. Als 29jähriger hatte er sich vorgestellt, zunächst für zwei Jahre nach Deutschland zu reisen, um dort „schnelles Geld“ zu verdienen. Der Vater dreier Kinder wollte seiner Familie dadurch den Weggang aus dem anatolischen Dorf ermöglichen. Mit dem „schnellen Geld“ wollte sich die Familie ein Leben in einer türkischen Großstadt leisten. Heute leben der 61jährige Rentner und seine Familie in einer Großstadt. Allerdings nicht in Istanbul, Izmir oder Bursa, sondern in Berlin.

„Aus den geplanten zwei Jahren sind nun 32 geworden“, erzählt Karaca. Und so ganz zufrieden ist er mit dem Verlauf der Dinge nicht. Im Glauben, eines Tages wieder in die Heimat zurückzukehren, habe er sich der deutschen Kultur und Lebensweise nie so ganz angepaßt. Auch für seine Altersvorsorge habe er Immobilien in der Türkei gekauft. „Ich habe eine schöne Wohnung in Istanbul“, erzählt Muzaffer Karaca, „mit Parkett und zwei Balkonen.“ In Berlin wohnt das Rentnerehepaar gemeinsam mit dem jüngsten Sohn in einer Mietwohnung. Als die Familie vor einigen Jahren realisierte, daß sie wegen der Kinder, die „mehr deutsch als türkisch“ seien, Deutschland langfristig nicht verlassen werde, stellte sich Karaca auf ein Rentnerdasein als Pendler ein. „Wir hatten uns vorgestellt, die Hälfte des Jahres in der Türkei und die andere Hälfte hier bei unseren Kindern zu verbringen“, sagt der Rentner. Doch auch daraus wurde nichts, denn „wir haben gemerkt, daß wir in der Türkei nicht mehr beheimatet sind. Man zählt uns mittlerweile auch dort zu den Ausländern.“ So verbringt das Rentnerehepaar maximal zwei bis drei Monate in der Türkei. Karaca hätte gerne vieles anders gemacht. „Deutschland war bequemer als die Türkei. In Istanbul teilten sich bis vor wenigen Jahren mehrere Haushalte einen Staubsauger, und Telefone gab es auch nicht in jeder Wohnung“, erklärt er. Dennoch sei es falsch gewesen, für den deutschen Komfort die Heimat einzubüßen. Songül Çetinkaya

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