Die Bahnkonzerne pilgern nach Berlin

■ 400 Aussteller zeigen bei der internationalen Bahntechnikmesse Innotrans ihre Produkte

In Zeiten wirtschaftlicher Hiobsbotschaften hat der Berliner Senat nur selten Grund zum Feiern. Bald bietet sich einer der wenigen Anlässe: Am 28. Oktober eröffnet auf dem Messegelände am Funkturm zum zweiten Mal die internationale Fachmesse für Bahntechnik „Innotrans“. Während bei der Gründungsveranstaltung 1996 rund 180 Firmen teilnahmen, haben sich dieses Jahr mehr als 400 Aussteller angemeldet.

Gern betont Messe-Sprecher Wolfgang Wagner, daß „die vier weltgrößten Systemanbieter“ den Weg nach Berlin gefunden haben. Die Konzerne Siemens, Adtranz (Daimler-Benz/ABB), Alsthom und Bombardier, die rund um den Globus um Aufträge für Züge und Schienennetze konkurrieren, präsentieren ihre neuesten Produkte Seite an Seite.

Der diesjährige Aquiseerfolg gibt den in Berlin ansässigen Konzernen Siemens und Adtranz sowie dem Senat, der die Messe 1996 von Leipzig nach Berlin holte, recht. Die Zeit sei günstig, um einen neuen Kommunikations- und Handelsplatz für öffentliche Verkehrsysteme zu schaffen, lautete die Diagnose damals.

In der Tat erlebt der Schienenverkehr weltweit einen Aufschwung. Denn besonders in den Metropolen gibt es mit dem Autoverkehr zunehmend Probleme, so daß Verkehrsplaner verstärkt auf den öffentlichen Nahverkehr setzen. Zudem können moderne Hochgeschwindigkeitszüge wie der ICE auf mittleren Strecken mit dem Flugzeug konkurrieren.

In Deutschland kommt noch ein besonderes Phänomen hinzu: Durch die Privatisierung der Bahn und die Regionalisierung des Schienenverkehrs nahm die Nachfrage nach modernen, billigen und kundenfreundlichen Zügen sprunghaft zu.

Eigens zur Innotrans hat die Messe mit Millionen-Subventionen des Berliner Senats eine neue Gleisanlage gebaut, auf der viele Arten neuer Regionalzüge, S-Bahnen und Frachtwaggons zu besichtigen sind. Am S-Bahnhof Grunewald parken die Konzerne derweil ihr schnellstes Gerät: die deutschen Unternehmen ihren ICE 3, Alsthom den französischen Train de Grande Vitesse (TGV). Darüber hinaus sind der zwischen Deutschland und Frankreich verkehrende Thalys und der Eurostar zu sehen, der von Paris durch den Kanaltunnel nach London braust.

Der parallel stattfindende Fachkongreß „Eurorailspeed“ hat vor allem ein Thema: Wie kann erst Europa, dann die Welt mit einem System von Hochgeschwindigkeitsstrecken überzogen werden? Die Konzerne nämlich wittern das große Geschäft nicht mehr im Verkauf von einigen Loks und Waggons, sondern in der Errichtung kompletter Verkehrssysteme. Dafür bauen sie und ihre Ableger die Trassen, verlegen die Schienen, installieren computergesteuerte Signalanlagen, entwickeln die Züge, nehmen sie in Betrieb, und sorgen, falls gewünscht, auch für die Finanzierung des Fahrbetriebs. Während die Schnellstrecken in Deutschland und Frankreich schon weit gediehen sind, wollen die Fachleute nun über Anschlußprojekte in Polen, Rußland, Italien und Spanien beraten.

Grund zum Feiern für den Berliner Senat? Außer dem Erfolg, die Innotrans nach Berlin zu holen, ist in dem angeblichen deutschen „Zentrum der Verkehrstechologie“ in den vergangenen Jahren nicht viel passiert. Zwar wurden alte S-Bahn-Strecken renoviert, unterbrochene Ost-West-Verbindungen wieder verknüpft und mit dem Bau eines neuen Zentralbahnhofs begonnen, doch das von Umweltschützern und Unternehmen wie Siemens gleichermaßen geforderte Nahverkehrssystem für die Vernetzung der Stadt mit der Region läßt auf sich warten.

Vor mehr als einem Jahr hatte sich ein „Strategiekreis Verkehr“ gegründet, an dem die Hochschulen der Stadt, die Industrie und Politiker wie der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) teilnahmen. Die Beteiligten wollten unter anderem ein Gesamtkonzept für den Nahverkehr erarbeiten. Über die erste Sitzung ist das Gremium jedoch nicht hinausgekommen. Eine weiteres Treffen fand bislang nicht statt. Für Wolfram Martinsen, bis vor kurzem Leiter der Siemens-Verkehrstechnik, ist das Anlaß für die Befürchtung, daß „die Chancen der Stadt allmählich zerrinnen.“ Hannes Koch

Bahnmesse Innotrans vom 28. bis 30. Oktober auf dem Messegelände, 28. Oktober bis 1. November, Kongreß Eurailspeed mit Ausstellung am Bahnhof Grunewald, Publikumstage 30. 10.–1. 11., 9–18 Uhr