Cream of Crime: Scharfe Granatsplitter
■ Wenn Manager alberne Papierhütchen tragen: Donald Westlake besichtigt die Konsequenzen des amerikanischen Jobwunders
Burke Devore ist ein netter Kerl. Für seine Familie würde er alles tun. Das muß er auch, als er mit 51 Jahren und nach einer gesicherten Mittelstandskarriere im mittleren Management einer Papierfabrik schwups! entlassen wird. Um wieder an einen Job zu kommen, entfernt er alle potentiellen Mitbewerber und den Mann, der auf seiner neuen Lieblingsstellung sitzt. Final. Leicht fällt ihm das nicht, aber ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß.
Was sich so zusammengefaßt reichlich dürftig anhört, wird in Donald Westlakes Roman „Der Freisteller“ zu einem komplexen, grimmig-komischen und sehr gemeinen, menschlichen Stück Literatur.
Es ist kein Zufall, daß in Zeiten, in denen der historische American noir der 30er, 40er und 50er Jahre gerade in der „Library of America“ liebevoll kanonisiert worden ist, wieder aktuelle romans noirsgeschrieben werden, ohne jeden nostalgischen Touch. Donald Westlake, einer der hacks auf stetig hohem Niveau, die die amerikanische Gegenwartsliteratur eher am Leben halten als die kulturbetriebskompatiblen ABB & Co. (Auster, Brodkey, Brodsky), kennt man hierzulande höchstens als Lieferanten der Vorlage von John Boormans Film „Point Blank“. Oder als Analysebeispiel bedenkentragender Medienpädagogen für die schlimmen Folgen von Schundromanen.
Daß „Der Freisteller“ Westlake allerdings in die feinen amerikanischen Feuilletons katapultierte und dort wahre Lobeshymnen auslöste, verdankt sich sicher nicht einem prätentiösen Kunscht-Getue, sondern der klaren Radikalität, mit der er sein Thema angeht. Der Hintergrund ist klar: Die positiven Wirtschaftsdaten der USA und die sozialen Realitäten klaffen erheblich auseinander. Gleichzeitig heizt eine heuchlerische Propaganda die family values an, die angesichts der Destruktionskräfte des shareholders value nur höhnisch zu verstehen sind. Für ein paar Dollar mehr Dividende für ohnehin schon Reiche werden menschliche Existenzen sehenden Auges und ohne Skrupel ruiniert.
Burke Devores Ehefrau schildert in einem virtuosen, seitenlangen Monolog, wie die keinesfalls dramatische, nur eisig wühlende „Feinarbeit“ aussieht, wenn die Familie den Frust eines ausgemusterten, weggeworfenen, aber durchaus kompetenten Familienvaters abkriegt. Der zudem aus einer Generation von Männern kommt, die mit „positivem Denken“, fetischhafter Leistungsfixierung und dem stillen Glauben an die schöne Welt der Schlafstädte aufgewachsen sind.
Jetzt drücken Hypothek und Schulkosten für die Kinder. Die soziale Isolation greift um sich, man kann seine Freunde nicht mehr einladen. Kleinere Reparaturen am Auto werden zum Problem. Die Frau muß Geld verdienen, die Gewichte in der Ehe verschieben sich, Rollen kollidieren. Die MacJobs sind demütigend, hochqualifizierte Ingenieure mit dämlichen Mützchen braten Hamburger.
Das alles kapiert und sieht Devore klar wie Salzsäure. Er kapiert aber auch, daß er an den großen Strukturen nichts ändern will. Der amerikanische Traum vom Selfmademan wird zur tödlichen Falle. Devore betreibt keinen Aufstand gegen den Dow Jones, sondern schießt sich den Weg frei. Bevor schöne Debatten über gesellschaftliche Werte geführt werden können, müssen die Menschen anständig leben dürfen. Notfalls mit Gewalt. Die hämische Pointe des Buches ist, daß Devore damit durchkommt.
Westlakes Roman ist kein schmalziges Sozialdrama, sondern ein Stück Literatur, das die Qualität des noir aufs schönste aktualisiert: mit genau kalkulierten, knappen Mitteln gesellschaftliche Themen in Action und Stimmung umsetzen können. Dahin zu gucken, wo die „hohe Literatur“ nicht hinreicht, und so Texte hervorzubringen, deren ästhetische Essenz kleine scharfe Granatsplitter sind. „Der Freisteller“ tut weh. Thomas Wörtche
Donald Westlake: „Der Freisteller“. Roman. Deutsch von Johannes Schwab. Europa Verlag, München/Wien 1998, 320 Seiten, 39,80DM
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