■ In Italien bildet sich unter D'Alema eine neue linke Mitte heraus: Die Wiederkehr des Zentrismus
„Scosse d'assestamento“ nennen die Italiener jene Nachbeben, mit deren Hilfe sich die Erdschollen nach einer Erschütterung ein neues Gleichgewicht schaffen. Für viele Beobachter der italienischen Politik ist die neue Regierungsbildung so etwas wie das Einpendeln nach einer seinerzeit von niemandem erwarteten Verwerfung. 1996 hatte ein Linksbündnis überraschend die Wahl gewonnen, und das unter ausdrücklichem Einfluß der Neo-Kommunisten Rifondazione Comunista. 50 Jahre hatte man die Linke von der Macht ferngehalten, in ganz Europa regierten Mitte der 90er Konservative, und nun hielt in Italien die Linke plötzlich die Macht in ihren Händen. Und das, nachdem Italien nur kurz zuvor mit Berlusconis Rechts-Allianz mit den Neofaschisten eine ganz andere Richtung eingeschlagen zu haben schien. Heute, wo zwei Drittel der EU-Staaten Mitte-links regiert werden, scheint ein Linksbündnis nichts Aufregendes mehr. Damals, vor drei Jahren, war es ein Umbruch.
Doch nun, so scheint es, haben die Linken mutwillig ihren Sieg aufs Spiel gesetzt, haben sich zerstritten und den allseits beliebten, freundlichen Wirtschaftsprofessor Romano Prodi davongejagt, nachdem er vollbracht hatte, woran nie jemand geglaubt hatte – das damals bankrotte Italien in die erste EU-Gruppe zu hieven. Linke Undankbarkeit, wie schon so oft in der Geschichte beobachtet, oder schlichtweg Erschöpfung eines Modells, das tatsächlich nur auf ein einziges großes Ziel hingelebt hat? Wahrscheinlich beides.
Tatsächlich hat die Metapher von den „Scosse d'assestamento“ viel für sich. Die Neokommunisten, bei der Auflösung der alten KPI Anfang der 90er als radikaler Teil links vom sozialdemokratischen Flügel der PDS (heute DS) entstanden, zeigten sich neben dem „großen Bruder“ in der Opposition erstaunlich lebensfähig, heimsten immer um die zehn Prozent Wählerstimmen ein. Den linken Rand aufzusaugen kam nicht in Frage – die Parteien mußten koexistieren.
Das Problem entstand mit dem Eintritt beider in die Mitte-Links-Koalition. Rifondazione unterschrieb zwar den Regierungsvertrag, entsandte aber vorsichtshalber keine Mitglieder ins Kabinett – ein wenig draußen bleiben wollte man eben doch. Und genau daran ist der PRC schließlich zerbrochen – der regierungswillige Teil um Armando Cossutta löckte wider den Stachel des stets radikalen Sekretärs Fausto Bertinotti und gründete am Ende seine eigene Partei unter dem alten Kürzel PCI. Bertinotti bleibt draußen und macht nun Opposition von links.
Dies war, kein Zweifel, der eine „Rüttler“, der das System neu einpendelt: Nun gibt es sie wieder, die bösen Anklagen der Linken gegen die Willfährigkeit der Regierenden gegenüber dem Kapital – und das ist auch gut so. Denn jemand muß der regierenden Linken auf die Finger hauen, wenn diese ihren Kotau vor Kapital und der Globalisierung macht.
Das zweite Beben, möglicherweise noch nachhaltiger, betrifft die Mitte: Die gut 40 Abgeordneten der UDR, die nun anstelle der Rifondazione die Koalition stützen, kommen ohne Ausnahme von der bisherigen Opposition. So bewegt sich ein erheblicher Teil der bürgerlichen Mitte weg von Berlusconis Manchesterliberalismus und Finis Rechtsradikalen und hin zur gemäßigten Linken. Damit deutet sich die Wiederinstallierung des „Zentrismus“ an, mit dem die ersten Nachkriegs-Ministerpräsidenten regierten.
Die neue Regierung D'Alema mag formal noch immer „Mitte-links“ heißen – faktisch ist sie nicht mehr der Aufbruch in eine neue linke Politik, sondern die Rückkehr zum alten System. Begraben wird auch das Zwei- oder Dreiparteiensystem, das dauerhafte Regierungen ermöglichen sollte. Da die Linke auf andere Fraktionen angewiesen ist, wird sich das alte Spiel wiederholen, an dem die „Erste Republik“ zugrunde gegangen ist: an dem unentwegten Manövrieren der Fraktionen und Fraktiönchen, dem unentwegt neuen Mischen der Karten und Verteilen der Pfründe.
Daß man mit Massimo D'Alema den derzeit „stärksten“ Politiker nun direkt an die Macht läßt, wird diese Entwicklung nicht aufhalten, im Gegenteil. Regieren verschleißt, im intrigengewohnten Italien zumal. Zudem muß der Regierungschef traditionell den Parteivorsitz der DS niederlegen, was seine politische Position schwächen wird. Die „Scosse d'assestamento“ haben ein neues Gleichgewicht geschaffen. Sonderlich stabil wird es nicht. Werner Raith
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