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Horst und das Raubwild Von Wiglaf Droste

Vor 30 Jahren, mit sieben, fiel die Literaturauswahl noch leicht: Man las einfach alles, was man in die Finger bekam, und vor allen Dingen das, wofür man angeblich „noch zu klein“ war. Nicht zu klein dagegen war man für Bücher, die man von der Verwandtschaft geschenkt bekam. Besonders beliebt bei den buchschenkenden Familienmitgliedern waren Bücher aus dem Münchner Verlag Franz Schneider, sogenannte „Schneider-Bücher“. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens hatten die Bücher auf dem Rücken eine praktische Angabe, für welches Alter sie geeignet seien, und zweitens warb der Verlag mit der Behauptung „Kinder lieben Schneider-Bücher“. Ganz falsch war das auch nicht; immerhin hatte man als Kind noch nichts von dem Berliner Peter Schneider hören müssen und war so gesehen ziemlich gut dran.

Manchmal bekam man Bücher geschenkt, die man auf gar keinen Fall lesen wollte – Bücher, die „für Mädchen“ empfohlen waren. Die taugten natürlich nichts, das war klar. Auch mit Büchern „für Jungen ab sechs“ wollte man nichts zu tun haben – die waren doch für Babies und andere Analphabeten. Nein, Bücher „für Jungen ab 14“, das war es, worauf man scharf war mit sieben, denn da, dachte man, gäbe es die guten Dinge zu erfahren, die einem ungerechterweise vorenthalten wurden: Spannung, Abenteuer, Geheimnisse.

Als eher halbgar und suspekt dagegen wurden Bücher angesehen, die „für Jungen und Mädchen“ empfohlen wurden – wozu sollte das gut sein? Was konnte schon Tolles in einem Buch stehen, wenn es auch von Mädchen gelesen wurde, fragte man sich rein instinktiv; schließlich hatte man noch nie von Charles Baudelaire gehört, jenem Dichter, der fand, Frauen hätten in der Kirche nichts zu suchen. Baudelaires Begründung: „Was sollte Gott schon mit Frauen zu besprechen haben?“

Eins der Schneider-Bücher „für Jungen und Mädchen“ fiel mir kürzlich wieder in die Hände: „Horst und das Raubwild“ von Erich Kloss. Mein siebenjähriger Neffe hatte es in einer Kiste gefunden, und da die Empfehlung „ab zehn“ lautete, versprach er sich etwas davon. Es ist aber ein grauenhafter Wald-und-Wiesen-Murks; der Fuchs zum Beispiel heißt im Buch „der rote Schelm“, Mädchen dagegen „Liesel“ und „Hilde“, und die Lodenfraktion, also der Förster, schwärmt in penetranter Andacht davon, daß es im Wald „kirchenstill“ sei.

Was für ein Unsinn. Ich schnappte mir den Neffen und zog mit ihm in den Wald. Von wegen „kirchenstill“ – es war die Hölle los! Fasane und Rebhühner flappten torkelig wie Wampenspechte durch die Luft; in Wildschweinsuhlen stand das Wasser halbmeterhoch, Jungfrösche hüpften herum und sprangen einem, wenn man wollte und geschickt genug war, auf die Hand, wo sie dann mit ihren kühlen feuchten Füßen sitzenblieben und etwas durcheinander in die Welt sahen.

Noch andere freundliche Wesen standen im Wald herum: Steinpilze, runde, gnubbelige Kerle, die aussehen wie Johannes Gross ohne Brille, Glatze und Goldschlips, ganz so, als könnten sie unter dem Konferenztisch paradieren. Haben Steinpilze Konferenztische? (Lesen Sie demnächst: Pilzfieber! Mit Alfred Biolek, dem Goldröhrling unter den Pilzen: Vorsicht – schleimt beim Kochen!)

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