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Ziemlich rätselhaft: „Studenten wurden verrückt“

■ Ein kritischer Blick auf 1968 und eine verklärende Erinnerung an 1948: Zwei Generationen streiten in getrennten Hörsälen über 50 Jahre FU-Geschichte und eröffnen damit die heiße Phase des Jubiläums

Die Generationen fanden nicht zueinander. Im Erdgeschoß des Henry-Ford-Baus erzählten einige alte Herren und eine alte Dame über ihren heroischen Widerstand gegen die Sowjetisierung der Linden-Universität nach dem Krieg, während ein Stockwerk höher und um eine Stunde zeitversetzt einige Herren und eine Dame, die ebenfalls nicht mehr die jüngsten waren, einen weitaus kritischeren Blick auf das Jahr 1968 warfen.

Es war kein offener Zwist, der die Erinnerung am Mittwoch abend gespalten hatte. Die ideologischen Schlachten sind geschlagen. Heute ist es keine Sensation, wenn FU-Gründungsstudent Ernst Benda sagt, die Auseinandersetzung mit den Kommunisten habe ihm „genützt“, oder wenn taz-Autor Christian Semler gesteht, das Bewußtsein für Demokratie sei den 68ern „zwischendurch etwas abhanden gekommen“. Allein Gerhard Löwenthal führt bis heute jenen Kampf gegen den Kommunismus, den er nach dem Krieg als Medizinstudent und Rias-Mitarbeiter begann.

Als „48 meets 68“ hatte der Leiter des APO-Archivs die Diskussionsreihe gar angekündigt, die Benda und seine Studienkollegen am Mittwoch eröffneten. Dort kommen die 68er jedoch, schön chronologisch, erst am 2. Dezember an die Reihe. Deren Debatte im oberen Hörsaal hingegen war Bestandteil des offiziellen FU-Jubiläumsprogramms, das inzwischen auf seinen Höhepunkt zusteuert, den 50. Jahrestag des Gründungsakts am 4. Dezember.

Im offiziellen Jubelprogramm waren die „48er“ schon im Frühjahr zu ihrem Recht gekommen, als sie den Jahrestag der ersten Vertreibungen von der späteren Humboldt-Universität begingen. Als prominentester Vertreter der Gründergeneration läßt sich Benda, einst Präsident des Bundesverfassungsgereichts, seither bereitwillig herumreichen. Auch daß sich die Studenten nach dem Krieg mit „erstaunlichem modischem Geschick“ in umfunktionierte Uniformstücke kleideten, erzählte er am Mittwoch nicht zum ersten Mal. Er hielt es den heutigen universitären Jammerlappen als Beleg vor, „daß der Mensch unter schwierigen äußeren Bedingungen mehr leisten kann, als er sich selbst zutraut“.

Solch heroische Rückschau war den 68ern im oberen Hörsaal schon dadurch verwehrt, daß ihnen zwei Prä- und ein Post-68er in die Parade fuhren. So ist es dem damals 40jährigen Politikprofessor Kurt Sontheimer bis heute ein Rätsel, warum „interessante und aufgeweckte Studenten plötzlich verrückt wurden“. Nicht einmal der fünf Jahre jüngere Uwe Wesel mochte da widersprechen, obwohl das Enfant terrible der Juristenzunft im Zuge der Revolte zum FU-Vizepräsidenten aufrückte. „Gott sei Dank“ sei er zum Mitmachen schon zu alt gewesen. Doch „von oben“ habe er das Geschehen „mit großem Vergnügen“ verfolgt.

Dem Soziologen Heinz Bude, der 1968 gerade 14 Jahre alt war, ist „dieses Phänomen“ noch immer „ziemlich rätselhaft“, obwohl er zwischenzeitlich ein ganzes Buch über das Altern der 68er geschrieben hat. Der rot-grüne Wahlsieg ist für ihn gerade kein später Sieg von 1968, sondern im Gegenteil der Beleg, daß sich jene Generation von ihrer „kulturrevolutionären Altlast“ verabschiedet hat.

Allein Uwe Wesel hatte es nach eigenem Bekunden überhaupt nicht nötig, sich zu verändern: „Es gibt wenige wie mich, die älter werden und trotzdem noch so flott drauf sind.“ Ralph Bollmann

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