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Der Fischeflüsterer

„Ahhh ... Angeln!“ Für seine Sendung „Fishing With John“ steigt Ex-Lounge-Lizard John Lurie mit Zeitgenossen ins Boot. Ein wenig Touren muß trotzdem sein  ■ Von Jörg Heiser

Jeden Samstag- und Sonntagmorgen kommen die Nachteulen der Welt nach Hause, angetrunken und voller wieder einmal unerfüllt gebliebener Sehnsüchte. Das Frühprogramm überspielt die Leere der Wohnung, ob in Berlin, Tokio oder New York, wo man bei solchen Gelegenheiten mit Vorliebe eine der mindestens zehn frühmorgendlichen Anglerfernsehshows einschaltet.

Zwei bescheuerte Typen sitzen in einem Boot, irgendwo in den Sümpfen Floridas oder einem Seitenarm des Mississippi, und ansonsten passiert eigentlich nichts. Ein Erzähler versucht der Bewegungslosigkeit ein bißchen Spannung zu verleihen, bevor die Werbeeinspielungen von Anglerausrüstern für Abwechslung sorgen. Wie gesagt, im großen und ganzen passiert nichts, und das ist genau der Reiz. Welcher von Handyklingeln und Fitneßstudiofolter gepeinigte Stadtmensch sehnt sich nicht irgendwann nach diesen Momenten der Naturstille.

Man muß allerdings wohl John Lurie heißen und außer einer zwanzigjährigen erfolgreichen Geschichte als Saxophonist und Bandleader der Lounge Lizards (jüngste Platte „Queen of All Ears“) auch noch die eine oder andere Filmrolle („Stranger Than Paradise“) und den einen oder anderen Filmsoundtrack („Get Shorty“) auf dem Konto haben, um beim Anblick einer solchen Anglersendung gleich noch auf die Idee zu kommen, selbst eine solche machen zu wollen.

Wenn man dem charmanten Erzähler Lurie glauben darf, war nicht Strategie, sondern Steuerbetrug der Vater des Gedankens. „Als ich mal mit William Dafoe in Urlaub fuhr und wir angelten, machte ich ein Video davon, auf Hi-8 wie ein besserer Hobbyfilmer, und ich setzte dann den Urlaub von den Steuern ab mit der Begründung, ich würde an einer Sendung namens ,Fishing with John‘ arbeiten, was zu der Zeit eine komplette Lüge war.“ Das war 1991, und der Rest klingt wie ein Teil des Drehbuchs: Ein Freund ist zu Besuch, legt eines dieser privaten Angelvideos ein, findet es super, bietet es einer japanischen Produktionsfirma an, die gibt Lurie das Geld für die Pilotsendung – und los geht's mit der Serie.

Das war natürlich für den fernsehunerfahrenen Lurie erst mal der Sprung ins kalte Wasser. Zwar gibt es in den USA wenige nichtkommerzielle Kanäle wie den Independent Film Channel, aber auch da ist die Einschaltquote ein unbarmherziger Richter. „Am Anfang hatte ich wirklich Angst, daß es schiefgeht. Für die erste Folge mit Jim Jarmusch waren ungefähr zehn Stunden auf Band. Wir hatten auch wirklich Glück und fingen gleich drei Haie. Aber es war trotzdem immer noch total langweilig – zwei Typen sitzen in einem Boot und warten. Da hatte ich dann die Idee für einen Erzähler.“

Die sonore Stimme des Erzählers Robb Webb ist in den USA den Fernsehzuschauern ungefähr so vertraut wie in hiesigen Breiten das Organ von Dieter-Thomas Heck. Mit unerschütterlichem Ernst verkündet er stoisch gesetzt und mit würdevollen Pausen wunderbar stumpfe Weisheiten wie „Leben ... ist so schön... Für manche ... mehr ... als für andere... Jeder Atemzug ... jeder Tag unseres Lebens: Ahhh ... Angeln!“

Man hätte nach der Ankündigung „John Lurie macht Anglersendung“ befürchten können, der Gute könnte ganz humorlos darauf verfallen sein, in der Midlife-Crisis den Rückzug in Naturgefilde anzutreten, auf der Suche nach irgendeinem echten, womöglich noch männlichen Kern – ganz alter Mann und das Meer. Genau das Pathos einer solchen Sinnsuche wird aber bei „Fishing With John“, und das überraschend konsequent in den bislang sechs Folgen, von Sekunde zu Sekunde spielerisch veralbert.

Humor ist allerdings auch harte Arbeit. In der ersten Folge mit Jarmusch stolpern die beiden Bohemetypen noch verpennt aus der Koje, Kommentar: „Die Fischerleute sind froh, lebend aufzuwachen.“ Richtig ausgefuchst wird es, als Lurie mit William Dafoe zum Eisfischen im klirrend kalten Maine aufbricht. Bei Scorsese war Dafoe noch Jesus, der in „Die letzte Versuchung Christi“ seine Jünger auffordert, „Fishers of Men“ zu werden, und der dumme Johannes (Lurie) versteht wieder nur Bahnhof, sprich „Fishermen“. 2.000 Jahre später liegt es am schauspielerischen Improvisationsgenie Dafoes, daß die simple Verarschung des Anglerdeppentums zur Miniaturstudie über verklemmte Heteromännerkumpanei wird: Vor Kälte bibbernd, machen die beiden nachts in ihren Schlafsäcken unbeholfene Witze darüber, wie sie sich jetzt gegenseitig aufwärmen könnten.

Aber im Gegensatz zur bösen Antarktis, die Reinhold Messners abgefrorene Zehen nimmermehr rausrücken wird, ist der Hungertod in Maine nur eine Comic-Episode. In Folge fünf steht Lurie schon wieder putzmunter am Flughafen von Banko, um Dennis Hopper abzuholen: Riesentintenfisch jagen. „Das Seltsame ist, wie Leute wie Hopper oder Tom Waits, sobald du sie auf ein Boot in the middle of nowhere steckst, plötzlich diese wirklich süße und entwaffnende Seite ihrer Persönlichkeit zeigen. Wenn Dennis ein Interview gibt, hat er ein bestimmtes Gesicht, wenn er sich aber darauf konzentriert, Fische zu fangen, vergißt er das, er kriegt etwas von einem Neunjährigen.“

Durch alle trockene Ironie hindurch sehnt sich Lurie also vielleicht doch nach einer romantischen Idylle für sich und seine Jungs. Warten auf Godot auf dem Abenteuerspielplatz inklusive Naßzelle für das Männerbild der Achtziger. Lurie wäre zu wünschen, daß er in noch zu drehenden Folgen aus dem Kumpelknast ausbricht und – wie angekündigt – mit Wynona Rider, Martina Navratilova und Noam Chomsky ins Boot steigt.

Den sehr schönen Soundtrack gibt es bei strange & beautiful music (SB – 0014).

John Lurie (als Musiker) auf Tour: 26.10. Berlin, 30.10. Hamburg, 31.10. Ingolstadt. Eine Ausstrahlung der Serie im deutschsprachigen Raum steht noch nicht fest.

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