: Soziale Revolution am Amazonas
Im Bundesstaat Amapá im Nordosten Brasiliens steht der Gouverneur zur Wiederwahl. Seine Regierung hat vor allem in Ausbildung und Gesundheit investiert ■ Aus Macapá Gaby Küppers
„Saúde“ – „Gesundheit“, sagen BrasilianerInnen, wenn sie sich zuprosten. In Amapá, dem nördlichsten Bundesstaat, erweitern die Leute den Spruch scherzhaft auf „Saúde e educaçao“. „Gesundheit und Erziehung“ ist der Wahlspruch der derzeitigen Regierung von Amapá und von Gouverneur João Alberto Capiberibe. Traditionellen Politikern ist das Modell Amapá ein Dorn im Auge; in den Medien im Besitz großer Finanzgruppen kommt er so gut wie nicht vor, obwohl am 25. Oktober Stichwahlen sind und Gouverneur Capiberibe sich mit seinem Programm der sozial gerechten Umverteilung zur Wiederwahl stellt.
Amapá, der kleinste Bundesstaat Brasiliens – ein Stück größer als Griechenland – existiert erst seit 1988 und ist etwas Besonderes: als einzige Region Lateinamerikas hat er eine gemeinsame Grenze mit Frankreich – und deshalb mit der Europäischen Union. Seit dem Aufstieg zum Bundesstaat muß Amapá für eigenes Steueraufkommen sorgen. Doch große Firmen gibt es in Amapá kaum, ausländische Investoren schon gar nicht. Die Manganminen sind erschöpft. In der Hauptstadt Macapá und dem naheliegenden Santana konzentrieren sich 80 Prozent der EinwohnerInnen. Von außen ist das Land schwer zugänglich. Eine asphaltierte Straße führt nach Französisch-Guyana und von dort theoretisch weiter nach Suriname, Guyana und schließlich nach Venezuela – wenn denn endlich ein kleiner Zwischenabschnitt asphaltiert ist. Doch die Arbeiten kommen in Französisch-Guyana nicht voran – man befürchtet eine Invasion der Brasilianer. Gerade auf dieses Stück Straße setzt die Regierung Amapás jedoch die Zukunft des Landes. Der einheimische Markt von 600.000 EinwohnerInnen könnte auf 2 Millionen anschwellen, der Handel mit Französisch- Guyana und Suriname auf ein Vielfaches steigen.
Doch ausverkaufen will die Regierung das Land nicht. Während der amazonische Regenwald weiter den Kettensägen zum Opfer fällt, lehnt Amapá den industriellen Holzeinschlag ab. Die Regierung setzt statt dessen auf das Konzept nachhaltige Entwicklung, die Nutzung des Lebensraums Regenwald und seiner Ressourcen mit den Kenntnissen seiner traditionellen BewohnerInnen. Um das Programm zur nachhaltigen Entwicklung PDSA kümmert sich beim Gouverneur eine eigene Abteilung, ebenso wie um die „Artikulation mit der Zivilgesellschaft“. Sie soll die Bevölkerung in Produktionskooperativen und Interessengruppen organisieren, die über das ihnen zustehende Budget aus dem staatlichen Gesamthaushalt selbst verfügen.
Seit 1995 heißt der Gouverneur Amapás João Alberto Capiberibe – oder Capi, wie ihn alle Welt nennt, mit Betonung auf dem i. Capi, 51, stammt aus dem Nachbarstaat Pará. Er wuchs in einfachsten Verhältnissen auf, politisierte sich über die katholische Kirche und stieß nach dem Militärputsch 1964 zur Guerrilla ALN. Nach Verhaftung, Flucht und Exil ließ er sich 1985 gemeinsam mit seiner Frau Janete in Amapá nieder. 1994 wurde Capi als Mitglied der Sozialisitschen Partei PSB zum Gouverneur gewählt. Die neue Regierung reduzierte den gewaltigen Schuldenberg von 120 Millionen Real im Haushalt auf 30 Millionen.
Seit 1995 können die BürgerInnen über das öffentliche Budget (rund 500 Millionen Real, knapp 500 Mio US Dollar) mitbestimmen. Das Rezept heißt „partizipativer Haushalt“: Statt Denkmälern oder Prestigeobjekten soll öffentliches Geld auch öffentlichen Zielen dienen. 1998 gehen 25 Prozent des Haushalts in Gesundheit, 14 Prozent in Bildung und Erziehung.
Die Regierung will nach Worten von Capis Frau Janete, selbst Abgeordnete im Parlament, vor allem die Stellung der Frauen stärken. Bildungsseminare über Abfall gehören dazu ebenso wie die Sammlung von Rezepten für lokale Speisen. Heute schämt sich niemand mehr ob des vormals verpönten „Armenessens“. Wie dies zubereitet wird, lernt man und frau in der „Schule für Volkskünste“. Überlieferte Konservierungsmethoden, Nahrungsmittel und Kosmetika aus dem Regenwald bis hin zu Medikamenten erforscht das Landesforschungsinstitut IEPA, unter anderem in den neueröffneten „Waldschulen“. Ausgestellt wird alles im „Museum für Nachhaltige Entwicklung“, dem Schaufenster des PSDA. „Verkauft wird nichts“, sagt Augusto, der durch das Museum führt. „Wir geben die das Wissen an die Kooperativen weiter, damit sie eine eigene Produktion aufbauen können.“ Dabei drohen Patentklau und Biopiraterie: „Im Falle eines Malariamittels liegen wir schon im Streit. Deswegen versuchen wir selbst, möglichst schnell Patente anzumelden.“
Auch die Geburtshilfe besinnt sich auf die Traditionen, die auf herkömmliches Wissen und von Mutter, Tante oder Großmutter übernommene Methoden zurückgreifen. Kräuter, Aufgüsse, Kontakt mit dem Ungeborenen und Sprüche spielen eine große Rolle. Im Norden Brasiliens kommen mehr als 30 Prozent der Kinder mit Hilfe von Hebammen zur Welt, im Regenwald fast alle. Sechs Monate Regenzeit machen ein Krankenhaus unerreichbar. Trotzdem ist Hebamme in Brasilien kein anerkannter Beruf. Es gibt keine staatliche Ausbildung, keine Bezahlung und keine öffentliche Anerkennung. Mütter bekommen mitunter kein Kindergeld, weil ihr Kind bei einer Hebammengeburt nicht offiziell registriert ist. Anders in Amapá unter Gouverneur Capi.
Das Modell Amapá ist im dürregeplagten Nordosten Brasiliens attraktiv. Das Elend macht vor dem Staat halt, glauben die Menschen. Die Regierung beschaffe Reis und Arbeit. Abends kann man sich problemlos auf die Straße trauen. Das lockt täglich bis zu 60 Familien an. Die Bevölkerung Amapás ist in den letzten zwei Jahren um ein Drittel gewachsen. Die MigrantInnen sind inzwischen die große Herausforderung für die Landesregierung. Wohnungen und Arbeitsplätze müssen her. Kurioserweise könnte daher die Regierung an ihrem eigenen Erfolg scheitern.
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