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Der letzte Auftritt des K.

Acht Minuten dauerte der Abgang des Helmut Kohl beim Bundespräsidenten  ■ Von Markus Franz

Bonn (taz) – Der letzte Tag im Leben von Helmut Kohl als Bundeskanzler. Gestern, viele Kindlein waren schon im Bett, hat ihm Bundespräsident Roman Herzog seine Entlassungsurkunde überreicht. Eine halbe Stunde nach der Konstituierung des neuen Bundestages. Noch einmal hat Kohl in den Zeitungen lesen können, wie ihm Gerhard Schröder seinen Respekt für seine Leistung zollt, wie jeden Tag in den vergangenen Monaten. Noch einmal ist er morgens um acht Uhr mit einem Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes (BGS) auf dem Rasen des Kanzleramtes gelandet, in dem er 16 Jahre lang seine Puschen unter den Schreibtisch gestellt hat. Noch einmal hat er um neun Uhr mit seinen Getreuen die Morgenlage abgehalten, die nicht zu verwechseln ist mit dem ökumenischen Gottesdienst, den er um 9.30 Uhr im Bonner Münster besuchte. Um 11.30 Uhr dann der Höhepunkt des Tages für den Bundeskanzler, vom heutigen Tag an Bundeskanzler a. D. Bundespräsident Roman Herzog verleiht Kohl im Bundespräsidialamt das „Großkreuz des Verdientsordens der Bundesrepublik Deutschland“. Bislang hat lediglich Konrad Adenauer diesen Orden erhalten. Das Bundespräsidialamt kurz vor halb elf. Drei Beamte des BGS patrouillieren im Park. Blätter rauschen im Herbstwind, lösen sich von Zweigen und Ästen und fallen sanft auf den Wiesengrund hernieder. Der Kanzler naht. Um Punkt 11.30 Uhr fährt der Mercedes des Kanzlers vor. Zum letzten Mal in den nächsten 16 Jahren. Denn Gerhard Schröder fährt Audi.

Ein Protokollbeamter reicht Helmut Kohl die Hand und zieht ihn vom Beifahrersitz hoch. Energischen Schrittes betritt Kohl die Vorhalle, in dem die Journalisten warten. Er sagt mit kräftiger Stimme „Guten Morgen“ und entschwindet sogleich durch einen Flur. Zwei Minuten später rauschen Herzog und Kohl herein, Herzog kommt sofort zur Sache. Er nudelt eine dreiminütige Rede herunter. Er sagt zum Beispiel: „Unter ihrer Führung, Herr Bundeskanzler, hat sich die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes vollendet. Sie haben damit das von Konrad Andenauer begonnene Werk zu Ende gebracht.“ Helmut Kohl nickt dazu.

Dann überreicht Herzog dem Bundeskanzler das Kästchen mit dem Orden. Das Ordenszeichen ist ein rot emailliertes, golden gefaßtes schlankes Kreuz. In seiner Mitte ist der Bundesadler in Schwarz auf einem runden Schild aufgesetzt. Anschließend spricht Kohl: „Man muß in der Politik Fortune haben. Wenn die Strömungen der Geschichte, das große Bild sich nicht fügen, hat man umsonst sich bewegt.“ Nach acht Minuten ist alles vorbei. Adieu, Herr Bundeskanzler.

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