■ Bei Ministers zu Haus (9) – die Heime unserer neuen Regierung
: Working girl's Hütte

Wer sind unsere neuen Minister und Ministerinnen, und wie sieht es bei ihnen zu Hause aus? Fragen, die wir seit Tagen mit allerlei Hausbesuchen zu beantworten suchen. Heute treffen wir Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin.

Knirschend fährt der mit verzinkten Maschengittern gesicherte Lastenaufzug den Betonschacht hoch. Das von einem Baustellenfluter angestrahlte, rußeloxierte Stahlschild gibt nur spärliche Auskunft über die Eigentümer der Industrieetagen. Wer hier wohnt, protzt nicht mit Titeln. Fünf Ebenen – fünf Nachnamen – that's it. Ganz oben: „Däubler-Gmelin“.

Ein heftiger Ruck, der Fahrkorb öffnet sich und gibt den Blick frei auf eine zementgrauverfugte Ziegelwand. Die stählerne Eingangstür zum Loft der neuen Justizministerin steht halb offen. „Come in“, ruft uns eine weit entfernte Stimme zu, „gehen sie nur durch, bin gleich bei Ihnen!“ Wir betreten den lichten Eingangsbereich. Auch hier konsequentes Factory-Design. Hartlackversiegelter Estrich, die glatten Betonflächen der Wände nur gebrochen durch punktuelle und asymmetrische Kachelstrukturen (Staccari). An Kettenzügen abgehängte Neonobjekte (Kijo) spenden klare Helligkeit.

„Sorry, ich bin etwas spät“, winkt uns jetzt aus dem Hintergrund die zierliche 55jährige zu, „kommen sie doch bitte hier herüber, ich habe uns einen kleinen Imbiß gemacht.“ Nach einer Minute erreichen wir die weitläufige Koch-/Eßebene. Zwei offene, auf Gußgerüsten ruhende Plattformen, die durch eine Wendelrampe verbunden sind. Herta Däubler- Gmelin steht an der mattierten Edelstahltheke (Colbert) und reicht Sushi-Häppchen von Perlflußalgen und Atlantikdornhecht. „Zu Aufwendigerem reicht einfach die Zeit nicht. Ich bin schon froh, daß ich heute mal eine freie Nacht hier zuhause habe.“

Das sind wohl die Schattenseiten im Leben der drahtigen Powerfrau. Nicht, daß sie den Verlust von Privatheit beklagte, aber der ständige Trouble in Bonn läßt es eben kaum noch zu, daß sie sich zurückzieht in ihre „Working girl's Hütte“, wie sie das 300 Quadratmeter-Loft etwas selbstironisch nennt. Hier, inmitten der pulsierenden Schwabenmetropole Stuttgart hat sich die promovierte Juristin ein Refugium geschaffen, das es ihr nur noch dann und wann erlaubt, ganz sie selbst zu sein. „Als damals der Voreigentümer die Konservendosenproduktion nach Tschechien verlagerte und die Fabrik in Wohneigentumseinheiten umgewandelt wurde, habe ich nicht lange überlegt. Hier hole ich mir das, was ich in Bonn nicht bekomme: Privacy in einem Ambiente jenseits jeder spießigen Dorfenge. Und wenn ich mal etwas unternehmen will, bietet das urbane Stuttgart genügend Anonymität. Hier werde ich nicht an jeder Straßenecke angesprochen.“

Später, als die intelligente Spitzenpolitikerin (SPD) noch zu einem Glas Prosecco (Antinori) in die Wohnhalle bittet, erläutert sie beiläufig verschiedene Gesetzesvorhaben, die sie „noch in diesem Jahr durchziehen will“. Und da blitzt es ein ums andere Mal auf, dieses anpackend dynamische Wesen, das sich so konsequent in ihrer Einrichtung widerspiegelt.

Als wir Herta Däubler-Gmelin spät in der Nacht verlassen, streicht sie sich gedankenverloren einige imaginäre Flusen vom Revers ihres legeren Hausanzuges (Sander). Sie wirkt müde. Wir finden allein heraus. An der Tür blicken wir uns noch einmal um. Sie ist eingeschlafen. In einem Traum von weißem Sofa (Cassini). Fritz Eckenga