: Der Tomatenwurf – Dokumentation
■ Auszüge aus der
Rede von Helke Sander, gehalten am 13. September 1968 in Frankfurt/ Main bei einer Delegiertenkonferenz des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund).
„Die meisten Frauen sind deshalb unpolitisch, weil (...) ihre Bedürfnisse nie erfaßt wurden. (...) Als wir vor einem halben Jahr anfingen, reagierten die meisten Genossen mit Spott. Heute (...) versuchen sie zu beweisen, daß wir überhaupt ganz falsche Theorien haben, sie versuchen uns unterzujubeln, daß wir behaupten, Frauen brauchten zu ihrer Emanzipation keine Männer (...).
Sie pochen darauf, daß auch sie unterdrückt sind, was wir ja wissen. Wir sehen es nur nicht mehr länger ein, daß wir ihre Unterdrückung, mit der sie uns unterdrücken, weiter wehrlos hinnehmen sollen. (...) Daß wir sehen, welche Bretter ihr vor den Köpfen habt, weil ihr nicht seht, daß sich ohne euer Dazutun plötzlich Leute organisieren, an die ihr überhaupt nie gedacht habt, und zwar in einer Zahl, die ihr für den Anbruch der Morgenröte halten würdet, wenn es sich um Arbeiter handeln würde. (...)
Genossen, eure Veranstaltungen sind unerträglich. (...) Warum sprecht ihr denn hier vom Klassenkampf und zu Hause von Orgasmusschwierigkeiten? (...) Wir konzentrieren unsere Arbeit auf die Frauen mit Kindern, weil sie am schlechtesten dran sind. Frauen mit Kindern können über sich erst wieder nachdenken, wenn die Kinder sie nicht dauernd an die Versagungen der Gesellschaft erinnern. Genossen, wenn ihr zu dieser Diskussion, die inhaltlich geführt werden muß, nicht bereit seid, dann müssen wir (...) feststellen, daß der SDS nichts weiter ist als ein aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig. Die Genossinnen werden die Konsequenzen zu ziehen wissen.“
Weil die SDS-Männer über diese Rede hinweggingen, warf Sigrid Damm-Rüger, Romanistikstudentin und hochschwanger, mit Tomaten und traf in das Gesicht des SDS-Theoretikers Hans-Jürgen Krahl.
Zwanzig Jahre später, in einem Radiointerview, erinnerte sich die Tomatenwerferin: „Dann hab' ich eben mein Säckchen zerrissen und hab' die Tomaten geworfen. Nun war ja überhaupt der Teufel los. Dieser Tomatenwurf war im Grunde genommen der Funke im Pulverfaß.“
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