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Lohnt sich die Investition in die Wissenschaft?

■ 900 Millionen Mark gibt Bremen für seine wissenschaftliche Infrastruktur aus – Geld, das letztlich als Kredit aufgenommen werden muß. Ist das eine gute Investition in die Wirtschaftskraft des hochverschuldeten Landes? Gespräch mit Rainer Köttgen, Abteilungsleiter Hochschulen und Forschung beim Senator für Wissenschaft

taz: Aus dem Investitions-Sonderprogramm zur Stärkung der Finanz- und Wirtschaftskraft Bremens sollen ca. eine Milliarde in den Ausbau der Hochschulen des Landes Bremen gehen. Was wird mit dem Geld gemacht?

Rainer Köttgen: Es sind präzise 900 Millionen Mark, die in den gesamten Wissenschaftsbereich fließen sollen. Dazu rechnet man manchmal 100 Millionen Mark, die aber für den Ausbau des Technologieparks vom Wirtschaftssenator verplant werden.

Grundstückserschließungen?

Ja, auch für die Linie 6, für den Umbau des Zentralbereiches und Erschließungsstraßen. Das Programm hat vor einigen Jahren angefangen und geht bis zum Jahre 2004.

Sind die 230 Millionen Mark für die Privatuniversität Grohn da drin enthalten?

130 Millionen Mark kommen aus dem Topf, 100 Millionen legt der Wirtschaftssenator dazu.

Was ist denn an der Bremer Universität mit diesen Geldern gemacht worden? In diesen Tagen wird ein neuer Bau für die Chemie eröffnet.

Das ganze Investitionsprogramm soll ja die Wirtschafts- und Finanzkraft des Landes stärken. An der Universität geht es darum, den Ausbau der Natur- und Ingenieurwissenschaften weiter voranzutreiben. Für die Chemie ist neu gebaut worden, der bremische Anteil wird aus diesen Mitteln finanziert. Wir sind dabei, ein Sprachenzentrum aufzubauen. Mit dem ISP ist aber auch immer Personal finanziert worden, weil die Politik gesehen, hat, daß es keinen Sinn hat, nur Beton hinzustellen, wenn nicht das Personal finanziert werden kann, das in den Gebieten forschen und lehren soll. Insofern ist auch viel Geld in den personellen Ausbau der Natur- und Ingenieurwissenschaften geflossen. Aber nicht nur da, auch beispielsweise in die Wirtschaftswissenschaften und das Sprachenzentrum fließen Personalmittel.

Werden bei den Ingenieurwissenschaftlern thematische Schwerpunkte gebildet?

Ja, zum Beispiel die Informationswissenschaft, Mikrotechnologie, Umwelttechnik, Biotechnologie, Materialwissenschaften. In den Materialwissenschaften arbeiten nicht nur die Ingenieure, sondern auch Chemiker und Physiker. Der Wissenschaftsrat hatte die bremischen Materialwissenschaften begutachtet und den Ausbau dieses Schwerpunktes vorgeschlagen.

Hat das zu tun mit der Entwicklung von Plastik-Flügeln bei der Dasa? Gibt es Anknüpfungspunkte zur bremischen Industrie?

Es sind durchaus Forschergruppen daran beteiligt, die mit der Dasa eng zusammenarbeiten. Andere Schwerpunkte: das Zentrum für Medizinische Diagnosesysteme, der Forschungsverbund Logistik, der Ausbau der Kognitionswissenschaften etwa, oder das Zentrum für Techno-Mathematik ...

Was ist das?

Das ist eine auf technische Anwendung orientierte Mathematik. Der Neubau der Forschungsstelle Osteuropa ist aus den ISP-Geldern finanziert worden, Pflegewissenschaften, der Aufbaustudiengang Gesundheitsforschung. Dies ist ein Bereich, der auch international als ein wichtiger ökonomischer Bereich angesehen wird.

Ist das eine Wissenschaft?

Ja. Jeder Automechaniker wird von einem Lehrer ausgebildet, der irgendwann an einer Hochschule studiert hat. Bei den Schwestern gab es bisher nur eine Lernschwester, es gab keine professionelle Ausbildung. Das hat Auswirkungen auf das Berufsbild. Bei uns darf eine Schwester nicht einmal eine Spritze geben, die Rolle der Schwestern in amerikanischen Krankenhäusern ist eine ganz andere. Es geht bei der wissenschaftlichen Infrastruktur also nicht nur um die Ingenieur- und Naturwissenschaften.

Dennoch soll es ein Investment sein, irgendwann wird bei dem Investitions-Sonderprogramm doch die Frage aufgeworfen: Gibt es eine Rendite, ist eine Stärkung der bremischen Wirtschaftskraft nachweisbar?

Wir sind sehr sicher, daß es diese Rendite gibt. Es gibt Untersuchungen von Prof. Schäfer über die Rendite im Bereich des Bildungs- und Forschungswesens, wir lassen das auch extern begutachten. Herr Schäfer hat einmal für uns ausgerechnet, jede Mark Investition in die Universität erzielt einen zusätzlichen Effekt, der um das 2,6fache höher ist.

Er hat sicher Grund, dankbar zu sein.

Ich kann diese Berechnung nicht in jedem Falle nachvollziehen, aber es ist mit Sicherheit so, daß die Wirtschaft in Bremen auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen ist. 70 Prozent der Exporte werden mit wissensbasierten Produkten getätigt. Die Rendite kann man nicht nur vordergründig direkt ausrechnen wie sonst in einem Betrieb. Die gesellschaftliche Rendite ist sicher vorhanden.

Es geht aber nicht um gesellschaftliche Rendite allgemein, leider zählt für das ISP der Erfolg nur in den kleinen bremischen Landesgrenzen.

Auch die Forschungsergebnisse, die an der Universität Bremen produziert werden, lassen sich nicht in der Landesgrenze halten. Aber der Austausch mit anderen Universitäten wird oft vermittelt über Forschungsinstitute und Wissenschaftler vor Ort. Wir können jedoch sagen, daß bestimmte Firmengründungen nicht stattgefunden hätten, wenn die Universität nicht da gewesen wären.

Beispiel?

Beispiel ist OHB im Weltraumbereich, eine andere Firma ist Bre-gau im Umweltbereich. Da kann man konkrete Arbeitsplätze aufrechnen.

Beim Osteuropa-Institut wird – glücklicherweise, muß man sagen – nicht gefragt, wie sich das rentiert, so ein Institut muß sich eine Gesellschaft leisten.

Und irgendwann zahlt es sich vielleicht doch aus. Ich kann in Rußland keine Geschäfte machen, wenn ich nicht die russische Mentalität kenne. Daß als Nebenprodukt einige wertvolle Bilder nach Bremen zurückgekommen sind, freut uns dann auch. Große Kongresse wie der Juristen-Tag hätten in Bremen nicht stattgefunden ohne die Universität.

Bei der Finanzierungsquelle „Investitions- Sonder-Programm“ (ISP) geht es aber darum, daß innerhalb der Landesgrenzen in einer überschaubaren Zeit Effekte erzielt werden müssen, damit die bremischen Finanzen wieder stimmen. Ein Erfolg für eine Firma in Achim wird da doch schon als Verrat am Sinn des bremischen Investitions-Programms betrachtet. Ein so eng definiertes Erfolgskriterium kann doch im Wissenschaftsbereich nicht funktionieren.

Das geht in keinem Bereich so. Die anderen Bereiche des Investitions-Sonder-Programms können auch nicht vorlegen: wird es sich rentieren oder nicht? Ich will nicht große Projekte, die hier in Bremen angestoßen werden, diskutieren. Ob sie sich rentieren werden, kann man vorher nicht sagen. Eine Stadt wie Bremen kann sich nicht entwickeln, wenn es nicht hinreichend qualifizierte Arbeitskräfte und keinen Forschungstransfer gibt. Es gibt keine prosperierende Region ohne wissenschaftliche Zentren.

In unserer Zeit der globalen Daten-Kommunikation ist es doch egal, ob der wissenschaftliche Partner in Göttingen oder in Sidney sitzt.

Der wissenschaftliche Partner kann dort sitzen, aber der unmittelbare Austausch von zwei Menschen ist das Salz in der Suppe, beim Gespräch in der Mensa der Universität werden die eigentlichen Ideen produziert. Das Hanse-Wissenschaftskolleg ist deshalb so wichtig. Das können Sie nicht über Datenaustausch organisieren.

Es gab einmal eine skeptische Untersuchung über den Technologiepark Universität, das Ergebnis war, daß die meisten „Kontakte“ sich darin erschöpfen, daß Mitarbeiter der Firmen mittags in die Mensa essen gehen. Wissenschaftliche Kontakte waren eher selten.

Der Kontakt zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist sicherlich ein Entwicklungsprozeß. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß in den ersten Jahren die ganze Stadt nicht mit dieser Universität reden wollte, dann ist sehr viel passiert in den letzten Jahren. Das hängt auch mit den Fachgebieten zusammen, die jetzt aufgebaut worden sind. Die Universität hat sich mehr auf die Stadt eingelassen. Es gibt aber auch die andere Seite: Es gibt auch Institute, die haben jahrelang nur mit Betrieben in Baden-Württemberg zusammengearbeitet, weil die es gewohnt waren, mit Universitäten zusammenzuarbeiten. Auch die Wirtschaftsseite in Bremen muß das lernen.

Tut man einem Forschungsschwerpunkt wie der Hirnforschung nicht Unrecht, wenn man es an kurzfristig wirkenden praktischen Effekten mißt?

Man tut keinem Forschungsgebiet, auch den Kognitionswissenschaften nicht, Unrecht, wenn man danach fragt. Aber die spannendsten Entwicklungen passieren nicht da, wo man es darauf anlegt, sondern kommen in Wirklichkeit aus der Grundlagenforschung. Die Zusammenarbeit beispielsweise einer Firma wie OHB und der Universität ist ganz intensiv bei den marinen Geowissenschaften. Die Wissenschaftler haben Sonden ins Meer gelassen und waren darauf angewiesen, sie wiederzufinden. Diese Problematik hat die Firma OHB angeregt, entsprechende Systeme gemeinsam mit den Wissenschaftlern zu entwickeln, entstanden ist daraus ein Produkt, das am Markt verkauft werden kann. Wichtige Entdeckungen, die später ökonomisch eine große Rolle gespielt haben, sind nicht gezielt entwickelt worden, vieles kommt aus einer Forschung, die zunächst einem allgemeinen Erkenntnisinteresse folgt.

Schrotschuß-Effekte?

Sicher auch.

Wer hat den Schwerpunkt Kognitionswissenschaften beschlossen? Wie ist der entstanden?

Der ist dadurch entstanden, daß verschiedene Wissenschaftler über Jahre hinweg an solchen Fragestellungen gearbeitet haben. Herr Prof. Roth wollte wissen, wie ein bestimmter mexikanischer Salamander mit seiner Zunge immer diese Fliege trifft. Daß dann daraus für die Computerwissenschaften und die Medizin Erkenntnisse kommen, wie die Vernetzung im Gehirn funktioniert, das ist neu. Wie funktionieren Lernprozesse? Wie funktioniert Erinnerung? Wie kann ich Wissen aktivieren? Ob das schön wäre, alles zu erinnern, ist eine andere Frage.

Die Frage nach dem Nutzen steuert also nicht die Wissenschafts-Investition.

Das Wissenschafts-Ressort muß sich Gedanken machen: Wo sind Entwicklungsgebiete, die als zukunftsträchtig angesehen werden und die für die Region Bedeutung haben könnten? Logistik ist natürlich für eine Hafenstadt wichtig, zum Beispiel. Aber niemand, der ein neues Gebiet aufbaut, weiß, ob das in acht Jahren auch noch diesen Stellenwert hat, wenn der Ausbau vollendet ist.

Warum dürfen die Universität oder die Hochschule nicht autonom entscheiden, was ausgebaut werden soll?

Solche Entwicklungen entstehen immer in einem Spannungsverhältnis zwischen Staat und Hochschule. Alle großen Institutionen haben ein großes Beharrungsvermögen. Wenn ich etwas neues mache, haben die etablierten Bereiche immer die Sorge, das da von ihrem Kuchen etwas weggenommen wird. Wichtige Schwerpunkte des Ausbaus der Universität wären nicht so erfolgt, wenn es nicht ein gesellschaftliches Interesse gegeben hätte, das von außen in die Universität hineingetragen wurde.

Die Bremer Wissenschaftsbehörde hat nicht 30 Institutionen zu betreuen wie das niedersächsische Ministerium in Hannover sondern nur zwei ...

Wir legen schon Wert darauf, daß es vier Hochschulen gibt im Lande Bremen.

... und diese Enge, sagt man, führt dazu, daß diese Institutionen sehr am Gängelband geführt werden.

Wer etwa die Universitäten Bremen und Oldenburg, die zur gleichen Zeit gegründet wurden, vergleicht, wird vermutlich große Unterschiede feststellen. Und das liegt nicht daran, daß die Bremer zu sehr gegängelt wurden.

Die haben mehr Geld bekommen, sozusagen als Landeshauptstadt-Effekt.

Es hat ein anderes Engagement gegeben. Das war ja nicht immer so. Noch 1980 hat es Überlegungen im Senat gegeben, die Ausgaben für die Universität zu halbieren. Es ist aber nicht nur das. Um die Universität herum ist eine hoch effiziente und anerkannte Institutslandschaft entstehen, das finden Sie so in Oldenburg nicht. Bei den Bewilligungen der deutschen Forschungsgemeinschaft pro Wissenschaftler hat die Uni Bremen viele der traditionellen Universitäten überholt. Wenn dies das Produkt des guten Verhältnisses zwischen Staat und Universität ist, dann hat es sich bewährt. Das gilt auch für die Mittel aus dem Bundesforschungsministerium oder Gelder aus Brüssel. Das hat auch mit der kritischen und liebevollen Betreuung zu tun.

Ist Ihnen nicht manchmal bange, wenn Sie daran denken: In fünf Jahren ist der Topf Investitions-Sonderprogramm ausgegeben, die Wirtschaftskraft ist vielleicht nicht so gestärkt, wie es erhofft wird. Wieviel laufende Folgekosten müssen im bremischen Staatshaushalt untergebracht werden aufgrund der Wissenschafts-Investitionen des ISP?

Etwa 100 Millionen Mark. Das wird aber schrittweise passieren. Mir ist davor nicht bange. Ich muß doch fragen: Was wird in einem Land pro Kopf der Bevölkerung ausgegeben? Welche Politikfelder werden bedient? Ich glaube, daß es für die Bundesrepublik das Wichtigste ist, Menschen zu qualifizieren. Das ist wichtiger als viele andere denkbare Investitionsprojekte. Da darf nichts zu teuer sein.

In unserem zu kleinen Bremen wird man feststellen müssen: In Hannover, daß das ganze Land die teure Universität finanziert, im kleinen Bremen allein eine Stadt.

Deswegen gibt es den Länderfinanzausgleich. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Länderfinanzausgleich sehr ausführlich dazu Stellung genommen und erklärt, daß es notwendig ist, daß das Land mehr für diesen Bereich ausgibt. Und bei denInvestitionen Bremens pro Kopf der Bevölkerung für den Wissenschaftsbereich sind wir eher Schlußlicht. Das Ifo-Institut hat einmal errechnet, daß wir als Stadtstaat und als Oberzentrum pro Kopf der Bevölkerung zweieinhalb mal soviel wie die Flächenländer für die wissenschaftliche Infrastruktur ausgeben müßten. Dieses Ziel haben wir bisher nicht erreicht, noch weiter sind wir entfernt von den entsprechenden Quoten in Berlin oder Hamburg. Und mir ist überhaupt nicht bange, wenn ich sehe, wofür sonst das Geld ausgegeben wird. Ich glaube, diese Investitionen werden die Zukunft Bremens darstellen.

Fragen: Klaus Wolschner

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