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Wohnungsbars: Trash Ost meets Trash West

■ Die Ästhetik von Partykellern aus den 70er Jahren, tschechische Swingmusik und Mitropagläser funktionieren als heitere Allianz. Geheime Adressen steigern die Anziehungskraft

Im Grunde ist die Idee naheliegend. Anstelle auszugehen und sein Geld den kommerziellen Barbetreibern in den Rachen zu werfen, bleibt man zu Hause und lädt seine Freunde ein. Doch statt sich darauf zu verlassen, jeder werde schon etwas mitbringen, erledigt man das selber und funktioniert seine Wohnung um in eine Bar. Spätestens wenn man dies zum Konzept erklärt, kann man sich vor Freunden und Freundesfreunden kaum noch retten. Hier sind sie: die Wohnungsbars.

Für die meisten Betreiber von Wohnungsbars wird es am Anfang ähnlich ausgesehen haben: Samt und sonders gehören sie der zweiten Generation von Ostberliner Nachwende-Nightlife-Entrepreneuren an, die sich ihre Räume eben nicht mehr frei aussuchen kann. Reichte es in den Jahren nach der Wende, sich einen Raum zu nehmen, Getränke und eine Anlage zu organisieren, um loszulegen, ist es für Wohnungsbarbetreiber in den späten Neunzigern nicht mehr ganz so einfach. Für Räume muß nun Miete bezahlt werden, und auch auf die Unwissenheit oder Gleichgültigkeit der Autoritäten in Sachen Ausschanklizenz kann nicht mehr spekuliert werden. Da ist es eine ganze Menge, wenn man immerhin auf die Toleranz der Nachbarn hoffen kann oder, wie in der Karel-Duba- Bar, niemanden unter sich, über sich und gegenüber wohnen hatte.

Die Friedrichshainer Karel-Duba-Bar ist der Prototyp der Berliner Wohnungsbar. Sie entstand aus der Not, die Miete zahlen zu müssen, und die erste Einrichtung, inklusive der Plattenspieler und Schallplatten, stammte fast vollständig von der Straße.

Doch auch wenn die Idee einer Bar in der Wohnung aus dem ökonomischen Druck heraus geboren wurde, gewann dieses Konzept schnell an Eigendynmaik. Denn der Trash des Ostens vertrug sich erstaunlich gut mit dem aus dem Westen. Easy-Listening-Musik und die Ästhetik von Partykellern aus den 70ern gingen eine gut funktionierende Allianz mit tschechischer Swingmusik und Mitropagläsern ein. Daß in diesen Gläsern Cocktails gereicht wurden anstelle des sonst allgegenwärtigen Biers, trug nicht wenig zur Anziehungskraft bei. Und auch handgespielte Musik gereichte einem Club wieder zur Ehre: In den Wohnungen traten wieder Bands auf, nachdem jahrelang der DJ das Maß aller Dinge gewesen war.

Daß es nicht ohne weiteres möglich ist, die Wohnungsbars zu finden, da sie ob ihrer Illegalität ihre Adressen nur ungern preisgeben, stärkt ihren Ruf noch. Als jedoch eines Abends fast 400 Gäste den Laden stürmten, um sich ein Konzert anzuschauen, war der Betreiber Karel Duba dazu genötigt, seine Wohnung für den allgemeinen Publikumsverkehr zu schließen und die Bar in einem anderen Haus neu zu eröffnen.

Die Idee, die eigene Wohnung zeitweilig dem Nachtleben zu öffnen, ist so neu allerdings nicht. Gerade im Osten Berlins hat dieses Konzept eine längere Geschichte. Schon in der Wendezeit gab es kleine illegale Bars in – meist besetzten – Wohnungen, und auch schon vor der Wende trafen sich Oppositionelle bevorzugt in Wohnzimmern und Küchen, um dort Ausstellungen zu eröffnen oder Lesungen abzuhalten. Wo der öffentliche Raum nur bedingt der selbstbestimmten Nutzung offenstand, wurde einfach der private Raum geöffnet.

Doch wie das Nachtleben so spielt: Waren es nicht zuletzt die Wohnungsbars, die halfen, den Kellerclub als vorherrschendes Ausgehmodell abzulösen, so kommt heute kaum einer der reformierten Clubs mehr ohne eine Lounge aus, wo ein paar Sofas herumstehen und wo Cocktails geschüttelt werden. Tobias Rapp

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