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Feuersbrunst auf Halloween-Fest

62 Tote und 200 Verletzte bei Brandkatastrophe in Jugenddisco im schwedischen Göteborg. Heftige Kritik von Betroffenen an schlechter Rettungsarbeit  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

„Es sah aus wie auf Fotos von den Gaskammern in Auschwitz“, beschrieb ein geschockter Polizeibeamter den Anblick, mit dem er konfrontiert wurde, als der Brand so weit gelöscht war, daß ein Vordringen in das ausgebrannte Versammlungslokal möglich wurde: „Übereinandergetürmte Leichenhaufen, ineinander verschlungen.“

Das, was am Donnerstag abend im schwedischen Göteborg als Halloween-Fest von rund 400 Jugendlichen zwischen 13 und 17 begonnen hatte, endete gegen Mitternacht in der schlimmsten Brandkatastrophe, die Schweden in moderner Zeit getroffen hat. 62 Tote wurden bis gestern nachmittag gefunden. Rund 200 Menschen lagen verletzt in Krankenhäusern, darunter 20 mit lebensgefährlichen Brandverletzungen.

Ausgebrochen war das Feuer im Lokal der „Mazedonischen Vereinigung“ im Göteborger Stadtteil Hissingen. Gemietet für das Haloween-Fest war es von einer Gruppe kurdischer Jugendlicher. Die TeilnehmerInnen waren neben einigen schwedischen vor allem ausländische SchülerInnen, die Mehrheit aus Ex-Jugoslawien, der Türkei und afrikanischen Ländern. Dies weckte Spekulationen um einen Anschlag mit ausländerfeindlichem Hintergrund, zumal der Chef des Rettungsdienstes, Lennart Olin, in einer ersten Pressekonferenz aufgrund des explosionsartigen Brandverlaufs von der hohen Wahrscheinlichkeit für eine Brandstiftung sprach.

Diese Einschätzung nahm Olin später wieder zurück. Das relativ kleine Lokal, sagte er, könne tatsächlich auch ohne künstliche Brandursache innerhalb von drei bis vier Minuten voll in Flammen gestanden haben. Das Lokal war vor 18 Monaten von der Brandschutzbehörde ohne Anmerkungen abgenommen worden, aber nur für maximal 150 Personen zugelassen. Fast dreimal soviel drängten sich am Donnerstag abend zu dem Fest.

Auch erste Augenzeugenberichte geschockter Überlebender lassen nicht auf Brandstiftung schließen. Der Brand brach offenbar in der Musikanlage des Discjockeys oder in einer der Lichtanlagen aus. Der Discjockey soll noch über Mikrophon dazu aufgefordert haben, das Lokal zu räumen, was viele zunächst für einen Scherz hielten. Nachdem der einzige Notausgang durch den Brand blockiert war, versuchten alle in Panik durch einen engen Korridor hinauszudrängen. Daß viele die Fenster des im zweiten Stock gelegenen Lokals einschlugen, um auf die Straße hinunterzuspringen, versorgte den Brand mit Sauerstoff und begünstigte offenbar dessen rasche Ausbreitung.

Schwere Kritik richtet sich gegen den Rettungseinsatz. Ein 16jähriger Schüler sagte: „Die Feuerwehr mit ihren Gasmasken stand da und sagte, da könne man nichts mehr machen. Währenddessen wagten sich 13- bis 16jährige immer wieder in das Haus, um verletzte Kameraden herauszutragen.“ Brandchef Peter Severstedt bestätigte, daß rund 40 der Verletzten durch solch „waghalsige Aktionen“ gerettet wurden. Es habe Schlägereien zwischen schockierten FestteilnehmerInnen gegeben, die zum Retten in das Feuer zurück wollten, und schockierten Polizeibeamten, die versuchten, den Brandplatz abzusperren. Der Schüler: „Die Polizei rief immer nur wieder ,Keine Panik, keine Panik!‘, obwohl volle Panik war.“

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