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„Was die Snobisten sagen, ist mir egal“

Neue Reihe in der taz: Wer hat etwas zu sagen in Berlin? Neun Jahre nach dem Fall der Mauer haben sich die Machtstrukturen verändert. Die alten Eliten sind auf dem Rückzug, neue Köpfe bestimmen das Bild der Hauptstadt. Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums, zählt zu den Machern mit frischen Ideen . Gerade hat er für das Museum die vollständige Eigenständigkeit durchgesetzt. Ein Porträt  ■ Von Ralph Bollmann

Die Zuhörer staunten nicht schlecht, als sich der neue Leiter des Jüdischen Museums in Berlin vorstellte. „Ein Konzept für das Museum“, erklärte Michael Blumenthal, „habe ich nicht.“ Auch werde er sich „maximal eine Woche im Monat“ seinem neuen Job widmen, für den ihm der Kultursenator weitgehende Autonomie zugesichert habe. „Ich freue mich“, ergänzte der anwesende Generaldirektor des Stadtmuseums, der soeben teilentmachtet worden war, „mit so einem prominenten und lebenserfahrenen Mann zusammenarbeiten zu dürfen.“

War Blumenthals Vorgänger nicht vom selben Kultursenator auf Betreiben desselben Generaldirektors Reiner Güntzer gerade deshalb entlassen worden, weil er sich nicht ins Stadtmuseum einfügen wollte? „Die Vergangenheit interessiert mich nicht“, erklärte Blumenthal knapp, „wir müssen in die Zukunft blicken.“ Mit Güntzer verstehe er sich „sehr gut“, über die gemeinsame Nutzung von Garderobe und Restaurant werde man sich gewiß einigen.

Ganz so plötzlich, wie es der Öffentlichkeit schien, hatte sich die Kehrtwende des Kultursenators, seines Staatssekretärs und des Museumschefs nicht vollzogen. Ein gutes halbes Jahr habe er gebraucht, sagt Blumenthal, „um die Probleme zu klären“. Am Ende hätten sich seine vom langen Streit ermatteten Verhandlungspartner der Logik der Sache fügen müssen – einer Logik, die der Architekt Daniel Libeskind mit seinem Museumsneubau vorgegeben hatte.

Das Gebäude, das vom Holocaust-Turm bis zum Exilgarten „vor Symbolik fast trieft“, könne „schwerlich etwas anderes sein als ein Museum für jüdische Angelegenheiten“, hatte er den Politikern erklärt. „Ein Konglomerat aller möglichen Ausstellungen vom Knoblauchmuseum bis zum Sport- und Wassermuseum“ mit einer kleinen jüdischen Abteilung habe an diesem Ort keinen Sinn.

Doch mit der Architektur alleine ließ sich die plötzliche Wende im Streit um das Jüdische Museum nicht erklären. In ihr spiegelte sich der Wandel vom alten West-Berlin zur neuen Hauptstadt. Von einem „Lernprozeß, vom „Vergrößern des Horizonts“ spricht Blumenthal. „Es ist ja nicht mehr so, wie es war, als ihr hier klein zusammengesessen wart. Ihr seid wieder eine Weltstadt, hier werden Leute aus aller Welt herkommen. Ihr wollt euch doch nicht blamieren!“

Nein, blamieren wollen sich die Berliner nicht. Deshalb überbieten sich Lokalpresse und Politiker darin, dem Mann zu huldigen. Wer es nicht tut, gilt als provinziell. Doch etwas Provinzielles hat auch die Art und Weise, wie ganz Berlin der Lichtgestalt zu Füßen liegt. Diese Unterwerfungsgeste rührt freilich auch daher, daß Blumenthal eigentlich eine Nummer zu groß ist für den Job. Er hatte in seinem Leben schon größere Arbeitszimmer als das kahle Büro mit den verwinkelten Fenstern im dritten Stock des Libeskind-Baus.

Seinen Ruf als brillanter Manager erwarb er sich, als er Ende der fünfziger Jahre als Vizepräsident der Crown Cork International Corporation mit Kronenkorken Millionen machte. Von 1972 bis 1977 verdoppelte er als Chief Executive der Bendix Corporation deren Umsatz und profilierte sich zugleich, wie es in den USA bald hieß, als „Gewissen des amerikanischen Unternehmertums“. Von 1980 bis 1990 stand er an der Spitze des Computerkonzerns Burroughs, aus dem er durch Fusion den Giganten Unisys schuf.

In der Politik bekleidete er unter demokratischen Präsidenten nicht minder hochrangige Funktionen mit weniger Erfolg. Zwar konnte er als Leiter der amerikanischen Delegation die Kennedy- Zollsenkungsrunde in Genf unter dem Nachfolger Nixon zum Erfolg führen. Doch als Jimmy Carter ihn 1977 als Finanzminister in die Politik zurückholte, warf er nach zweieinhalb Jahren das Handtuch. Der fiskalpolitisch konservative Blumenthal mußte die Ausgabenprogramme des Präsidenten, die er intern kritisierte, nach außen vertreten. Das machte ihn für die Frankfurter Allgemeine zur „wandelnden Personifizierung einer glücklosen Wirtschaftspolitik, für die er nur zum Teil verantwortlich war“.

Er selbst gestand dem Wirtschaftsmagazin Fortune: „Im Geschäftsleben erfolgreich zu sein ist nicht schwierig, wenn man sich an einige einfache Regeln hält. In der Regierung ist das schwerer.“ Er habe daraus gelernt, daß in der Politik „der Anschein ebenso wichtig sein kann wie die Realität“.

Diese Erfahrungen dürften ihm auch bei der Berliner Aufgabe von Nutzen sein. Daß er sich über die Banalität des Geschäftslebens mokiert, ist mehr als nur Koketterie. Mit Bedacht hat sich Blumenthal, nach seinem Rückzug von der Unisys-Spitze eine akademische Herausforderung gesucht. Er begann, Bücher über deutsche Geschichte zu lesen. Als sein Vater 1990 im Alter von 101 Jahren starb, hinterließ er dem Sohn den Blumenthalschen Stammbaum, der in der Mark Brandenburg bis ins 17. Jahrhundert zurückreichte und Namen wie Rahel Varnhagen und Giacomo Meyerbeer verzeichnete. Daraus ist in jahrelanger Kleinarbeit ein Buch über „Die unsichtbare Mauer“ zwischen Deutschen und Juden entstanden. Über drei Jahrhunderte zeichnete er im schwierigen Alltag der deutschen Juden die Vorgeschichte des Holocaust nach, ohne daraus eine Zwangsläufigkeit zu konstruieren wie der Politologe Daniel Goldhagen.

Das Buch war zugleich eine Reise in die eigene Vergangenheit. 1926 in Oranienburg geboren, war Blumenthal in Berlin aufgewachsen. Nach der Rückkehr des Vaters aus siebenwöchiger KZ-Haft emigrierte die Familie 1939 nach Shanghai. Acht Jahre lebte Blumenthal in China, bis er 1947 in die USA einwandern konnte. Daß sich der Kreis des Lebens mit der Rückkehr zu den Wurzeln nun schließe – mit solch banaler Psychologie will Blumenthal seine befristete Rückkehr nach Berlin nicht erklärt sehen. Die Frage „Warum?“ habe ihn auch als Amerikaner immer beschäftigt: „Wie kann man erklären, daß ein mitteleuropäisches Land im 20. Jahrhundert eine Politik verfolgt, in der fast auf industrieller Basis sechs Millionen Menschen am Fließband ermordet wurden?“

Als er sich 1953 für ein deutsches Promotionsthema, die Arbeitnehmer-Mitbestimmung, entschied, erhoffte er sich auch eine Antwort auf diese Frage. „Natürlich“, sagt Blumenthal heute, „war ich so schlau wie vorher, als ich wieder weggefahren bin.“ Mehr Aufschluß gab die Arbeit an dem Buch „Die unsichtbare Mauer“: „Und nun, nachdem ich von der Sache etwas verstehe, habe ich den Job am Jüdischen Museum angenommen. Natürlich denke ich dabei auch an meine Vorfahren und sage mir: Ich mach's für euch. Ich will, daß diese Menschen als lebende Menschen in Erinnerung bleiben. Ein Mahnmal befaßt sich mit Toten.“

Mischt sich Blumenthal mit einem solchen Satz unter die Gegner des geplanten Holocaust-Mahnmals? „Ich bin nicht nach Berlin gekommen, um mich in innerdeutsche politische Probleme einzumischen, das müssen die Deutschen unter sich ausmachen“ — mehr läßt sich Blumenthal zur Debatte um das Mahnmal nicht entlocken. „Ich weiß wirklich nicht, wer hier was sagt“, beteuert er mit treuherzigem Blick. Hart in der Sache, diplomatisch im Ton – an Professionalität läßt es der Unternehmer und Politiker nie fehlen. Das in Berlin übliche Verfahren, zuerst wild zu polemisieren, um hinterher nichts zu erreichen, ist seine Sache nicht. „Wer wen erschossen hat, interessiert mich nicht“, wehrt er alle Nachfragen zum Streit um seinen Vorgänger Amnon Barzel ab.

„Wir wollen ein Museum bauen, das eine Geschichte erzählt. Im Moment fabrizieren wir das Drehbuch dafür“ – es klingt ein wenig nach Hollywood, wenn Blumenthal über seine Arbeit spricht. „Auf spannende Art und Weise“ soll das Museum die Geschichte der Juden „in Deutschland im allgemeinen und in Berlin im besonderen erzählen“.

Das Holocaust-Museum in Washington oder das Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn dienen ihm als Vorbilder. Daß beide Häuser mit dem Vorwurf leben müssen, Geschichte zu banalisieren und Kitsch zu produzieren, daß der Potsdamer Historiker Julius Schoeps gar vor einem „Micky-Maus-Museum“ warnte, stört Blumenthal nicht: „Sie werden sehen, daß Tausende von Leuten kommen. Was die Snobisten sagen, ist mir egal.“

Daß das alles auch Geld kosten wird, ist allen Beteiligten klar. Es ist eine seltsame Verkehrung der Verhältnisse und zugleich bezeichnend für Blumenthals Position, daß die Höhe des Betrags mehr von ihm abhängen wird als vom Land. „Solange wir die Vorstellungen von Herrn Blumenthal nicht kennen, können wir nicht disponieren“, sagt Staatssekretär Pufendorf. „Das Museum wird mehr kosten, als die Stadt je geträumt hat“, sagt Blumenthal. Schließlich sei es „eine große Chance für Berlin, etwas wirklich Außergewöhnliches und Schönes zu tun.“

Inzwischen hat Blumenthal, der für seine Dienste nicht bezahlt wird, die Berlin-Aufenthalte ausgedehnt. Während der Tage, die er in Berlin zubringt, reiht sich Termin an Termin. Wenn er einen Besucher empfängt, muß er vorher noch schnell mit dem Kultursenator telefonieren, erwartet im Anschluß einen Rückruf der Finanzsenatorin. Einfluß oder gar Macht, beteuert Blumenthal, habe er in Berlin nicht, „aber ich kann in Universität, Industrie und Kultur in Berlin ein bißchen mithelfen“.

Im heimischen Princeton hält Blumenthal noch immer Vorlesungen. Außerdem kümmert er sich um Flüchtlingsfragen und den Managernachwuchs, sitzt in den Aufsichtsräten eines Großkonzerns und einer Privatbank, betreut auf Bitten Bill Clintons einen amerikanisch-russischen Investmentfonds. Das Jüdische Museum aber, betont Blumenthal, sei „absolut die wichtigste Aufgabe. Sie nimmt den größten Teil meiner Zeit in Anspruch. Wenn ich schon etwas übernehme, dann tu' ich auch mein Bestes. Damit ich mir später keine Vorwürfe machen muß.“

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