■ Querspalte: Hirntod
Der Wahlkampf ist tot, es lebe der Wahlkampf. Meint jedenfalls der Berliner Kultursenator Peter Radunski. Als Wahlkampfleiter seiner Partei würde er am liebsten die für den Oktober 1999 vorgesehenen Senatswahlen auf die kommende Woche vorziehen. Denn das Superkleinhirn der CDU hat sich bereits eine Kampagne ausgedacht: „Guck mal, der Kiezbär kommt.“ Eine gelungene Idee, die seltsamerweise im CDU-Landesverband auf breiten Widerstand stößt. Ein solches Konzept sei unmodern und gehe am „Berliner Lebensgefühl diametral vorbei“, heißt es. Wie geht man eigentlich an einem Lebensgefühl entgegengesetzt vorbei?
Aber hallo! Genauso kiezbärig ist er doch, der Balliner! Sitzt bei Wind und Wetter vor der Eckkneipe. In der Linken die Molle seines („Engelhardt macht Stengel hart“) leckeren Lokalbieres. In der Rechten die Weichteile seiner („Häßlich wie ein Lastenaufzug“) prächtigen Kiezfürstin. Und vorn aus der Sprechöffnung purzelt die politische Willensbildung heraus: „Ja, da laust mich doch der Affe. Guck mal, der Kiezbär kommt!“ Um die Ecke biegt der CDU-Kandidat für den Bezirk Wedding, eingenäht in ein Bärenkostüm, eine goldene Krone auf dem Kopf und brummt fröhlich den Radunski- Marsch: „Zwo, drei, vier. Den Radi lieben wir.“ Vor Bejeisterung jauchzt der Balliner, und wieder ist eine Stimme für „Radi“ Radunski gesichert.
Orientiert hat sich der Wahlkampfmanager am Erfolg des neuen SPD-Bundeslandwirtschaftsministers Karl-Heinz Funke, dessen Gedichte das Lebensgefühl einer ganzen Bauerngeneration widerspiegeln. Unvergessen sein grandioses Poem, das dem Homme de lettres bei der Bundestagswahl die entscheidenden Stimmen sicherte: „Oldenburger Butter hilft dir auf die Mutter.“ Wie die Bild-Zeitung soeben meldet, haben schwedisch-kanadische Wissenschaftler entdeckt, daß das Gehirn nachwachsen und einmal abgestorbene Zellen ersetzen kann. Eine Meldung, die für die Knallkugeln Funke und Radunski leider zu spät kommt. Michael Ringel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen