: Die Stunde des Fisches
■ Wasser gegen Wasser tauschen: „Quai West“ von Bernard-Marie Koltès unter der Regie von Thorsten Lensing in den Sophiensælen
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Theater, und die Schauspieler kommen herein, aber es wird gar nicht hell. Nur eine Kerze brennt, während sich das Ensemble am hinteren Bühnenrand postiert, Zinkeimer ergreift und Wasser umschüttet. Sechs Schauspieler, elf Eimer, eine Kerze, viel Umschütten, dazu lautes Atmen, und das dauert etwa zehn Minuten. Ein solches Arrangement könnte von Einar Schleef stammen, dem Vater der Zinkeimer auf deutschen Bühnen und dem Liebhaber einer naturalistisch beleuchteten Szenerie. Dann wären die Schauspieler ein Kollektiv, wären Athleten des Wasserschüttens und Virtuosen des Atmens. Jedes Wasserschütten ein Tosen des Schicksals, jedes Atmen eine Tragödie. Es wäre ein großes Geben, und es wäre ein großes Nehmen. Es wäre das Ritual des Tauschens.
Aber was im Hochzeitsaal der Sophiensæle am Donnerstag Premiere hatte, stammt nicht von Einar Schleef. Das real existierende Umschütten dort ist kraftlos und mechanisch. Trotzdem will es wohl etwas mit dem Tauschritual zu tun haben. Schließlich soll Koltès gespielt werden, „Quai West“, ein Stück von 1985, in dem es unter anderem darum geht, daß man nur etwas bekommt, wenn man auch etwas zu geben hat.
Keiner kommt davon. Wohin auch?
Eigentlich eine irre Situation. Ein Bankkaufmann kommt in selbstmörderischer Absicht in den Hafenslum. Vielleicht will er nicht wirklich sterben. Vielleicht ist es nur kokette Verzweiflung, aus der heraus er sich von seiner Sekretärin dorthin bringen läßt. Ein Mann, der seinen eigenen Jaguar nicht selbst fahren kann, und der sich, als er ins bracke Wasser springt, lediglich den Knöchel bricht. Aber Monique, die Sekretärin, bangt trotzdem. Und die verelendeten Ausländer, die im Viertel hausen, nehmen, was sie kriegen können, und träumen, statt zu helfen, lieber vom Fliehen. Am Ende aber kommt niemand irgendwohin. Wohin auch.
Inszeniert hat dieses Gastspiel aus Köln der 29jährige Thorsten Lensing. Und gespielt wird, als nach dem Wasserumschütten das Bühnenlicht angeht, die Übersetzung von Heiner Müller. Vor einer himmelblauen Rückwand und auf und neben einem Spanplattenpodest (Bühne: Michael Blattmann). Die Darsteller tragen zeitgenössische Kleidung und kommen alle auf Knien daher. Besser gesagt: auf ihren Kniescheiben, denn soweit es ihre Kondition zuläßt, heben sie auch die Füße hoch. Das veranschaulicht deutlich, daß die Figuren den Boden verloren haben, ist aber in der Wirkung nicht gerade abendfüllend.
Alle mümmeln zittrig über den Boden, und gerade so, als ob damit schon alles geschafft wäre, bleibt der Text dem Gutdünken der Darsteller überlassen. So spricht denn eine mit bebendem Tragödinnenton, die andere eigentlich ganz hübsch überkandidelt, der dritte macht auf psychologischen Realismus, der vierte skandiert. Das geht so dahin. Mehrfach wird ein großer Fisch hochgehalten, Menschen ziehen ihre Hemden aus, fuchteln sich gegenseitig vor dem Gesicht herum und schwitzen. Möglicherweise soll es entfremdet wirken.
Am Ende legt sich die Darstellerin der Slumfamilien-Mutter Cecile bühnenmittig zum Sterben nieder. Sie nestelt ihre Schuhe aus, kreuzt bedeutungsvoll die Arme vor der Brust und sinkt nach hinten. Dann geht das Licht aus. Petra Kohse
6. bis 8.11., 20 Uhr, Sophiensæle, Sophienstraße 18, Mitte
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