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Schöner Elvis, tapsiger Hund

Beim Leipziger Festival des Dokumentarfilms konnte man zwischen harmoniesüchtigen Zeitreisen und wütenden Quotenkillern fürs Fernsehen wählen  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Leipzig ist freundlich. Deshalb werden seit 40 Jahren zu Beginn des Internationalen Dokumentarfilmfestivals alle eingeladenen Regisseure nach vorne auf die Bühne gebeten und bekommen von jungen Frauen Blumen überreicht. Das wirkt ein wenig antagonistisch, hat aber Charme. Grit Lemke von der Presse- und Filmemacherbetreuung findet es etwas sexistisch, daß keine attraktiven Männer zum Beispiel den Frauen Blumen schenken. Dann lacht sie gleich wieder so nett, wie es ihre Art ist und die Art ohnehin vieler Leipziger, während lecker Schnittchen und Getränke beim Eröffnungsempfang im Rathaus der Stadt vorbeikommen und man selbst auch ins Gespräch.

363 Filme waren während der sechs Festivaltage in diversen Sparten zu sehen. „Auch Leben ist Kultur“, weiß MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl; auch Kultur ist Leben, denkt man, wenn man den ganzen Tag über in den Kinos sitzt. Neben dem Wettbewerbsprogramm gab es verschiedene, sehr gut besuchte Animationsfilmprogramme, neue polnische Dokumentarfilme, Dokumentarfilme des Prager Frühlings, und in einer Retrospektive gedachte man des georgischen Dokfilms.

Wie es denn um die „dokumentare Situation“ gestellt sei, hatte Festivalleiter Fred Gehler zu Beginn des Festivals gefragt. Zunächst einmal grundsätzlich ambivalent: Die meisten Dokfilme werden vom Fernsehen produziert, das selbst in den Quotenkillernischen meint, auf Quoten Rücksicht nehmen zu müssen. Die Themen, über die man auf Podiumsdiskussionen sprach – „Hochglanzdoku – modisches Schlagwort oder Zukunftsperspektive“ –, wirkten so grotesk wie das Motto, das sich die Leipziger Filmschule gegeben hat: „Das Wesentliche ist für das Auge nicht sichtbar.“

Vielleicht schaut man aber oft nicht genau genug, um zu sehen, wie sich die Geschichte in die Körper, Gesten und Mimiken der Menschen eingeschrieben hat. In „Das Wispern im Berg der Dinge“ spricht der Münchner Regisseur Dominik Graf über seinen Vater, den 1966 verstorbenen Nachkriegsschauspieler Robert Graf („Jonas“; „Wir Wunderkinder“ usw.) und das deutsche Nachkriegskino. Die Zusammenhänge zwischen den Kriegserfahrungen der deutschen Nachkriegsschauspieler und ihrem kopflastigen, sinnesfeindlichen Spiel werden über Bilder deutlich, die so fremd wie traurig wirken. Ich dachte an Theweleit und Bommi Baumann, der gesagt hatte, Elvis sei der erste schöne Mensch gewesen, den er gesehen habe. Wenn man diese todernsten Nachkriegskörper gesehen hat, versteht man besser, was an den ständig herumalbernden, lustig herumhüpfenden Heim- Mädchen aus Vera Chitilovas „Sack voller Flöhe“ (1962) – einem sehr lebendigen Vorläufer von „Tausendschönchen“ – als so subversiv empfunden wurde.

Um das Verhältnis zwischen den Generationen ging es häufig während des Festivals. In Egon Humers „Meine Zigeunermutter“ erzählt Therese Ránis, die in den inzwischen gebräuchlichen Bezeichnungen Roma oder Sinti nichts Positives sehen kann, mehr von sich als von ihrer Mutter, die die Konzentrationslager Ravensbrück und Buchenwald überlebte und unfähig ist, über das zu sprechen, was sie im Wortsinn prägte und als Angst an ihre Tochter weitergab. Traumata vererben sich und können oft erst in der zweiten Generation zur Sprache kommen.

Wer billig Mittagessen wollte, ging in eine ehemalige Stasi-Kantine, ein lebendiges Museum, das alle „werktätigen Filmschaffenden“ freundlich willkommen hieß. Tatsächlich schmeckte das Essen so wie in der DDR.

Einige Filmemacher besuchten die Helden ihrer früheren Filme noch einmal. Patricio Guzman, der zwischen 1973 und 1979 sein dreiteiliges Werk „La Bataille de Chile“ gedreht hatte, in dem es um den blutigen Putsch Pinochets gegen Allende und die Unidad Popular ging, kehrte zwanzig Jahre später zurück, sprach noch einmal mit seinen Interviewpartnern, zeigte jungen Studenten seinen alten Film und filmte ihre Reaktion. „Chile, das unbeugsame Gedächtnis“ wurde zu Recht mit einer Silbernen Taube ausgezeichnet. Der polnische Dokumentarist Marcel Lozinski schaute 23 Jahre nachdem er in „Der Besuch“ eine junge Bäuerin porträtiert hatte, die allein einen Hof führt und wegen ihres Interesses für Literatur von ihren Nachbarn geschnitten wird, noch einmal vorbei. Wie damals sollte sich auch diesmal die Heldin ständig für ihr Einsiedlerleben rechtfertigen. „Damit es nicht weh tut“ hatte etwas Pädagogisch-Perfides und bekam dafür eine Goldene Taube als bester kürzerer Dokumentarfilm. Mit der Goldenen Taube für den besten langen Dokumentarfilm wurde Sergei Dworzewois „Brottag“ ausgezeichnet, ein ländlicher Film, der die russische Seele beschwor und in seiner – sicher unterhaltsam-bewegenden Klischeehaftigkeit – etwas ziemlich Reaktionäres hatte. „Wie süß!“ rief so mancher, wenn wieder mal tapsige Hunde und Ziegen sich neckten. Für seinen letzten Film „Das Glück“ hatte der Regisseur passenderweise einen Mercedes- Benz-Preis bekommen.

Dem harmoniesüchtigen Bild, das viele osteuropäischen Filme in den letzten Jahren zu liefern pflegen, stellte der junge georgische Regisseur Irakli Paniaschwili seine Wut entgegen. In dem großartigen Film „Die Stimme“ porträtierte er einen fertigen Hundefänger in einem völlig desolaten Tiflis. Beim Gucken meinte man, den Gestank verwesenden Fleisches zu riechen. Unendlich lange schlug der Hundefänger auf einen Hund ein, bis der dann endlich starb. Manchmal erinnerte das an Kieslowskis Film über das Töten und ließ einen erst mal sprachlos zurück, und die Bilder gingen nicht mehr aus meinem Kopf und verbanden sich einen Tag später mit Szenen des kämpferischen Films „Bauernkrieg“ von Erich Langjahr. Bilder von den Produktionsabläufen einer Tiermehlfabrik, die um einiges schockierender waren als jeder Splatterfilm und mit denen er gegen die durch das Gatt-Abkommen forcierte Industrialisierung der Landwirtschaft protestierte.

Wo tut man jetzt Lutz Dammbeck hin, dessen spielerisch-detektivischer, spannender, lehrreicher Film „Das Meisterspiel“ zu Recht die Silberne Taube gewann? Dammbeck verknüpft die Briefbombenattentate der sogenannten Bajuwarischen Befreiungsarmee auf überzeugende Weise mit einem grotesken Übermalungsattentat auf die Bilder des bekanntesten österreichischen Malerprofessors und Ex-Aktionisten Arnulf Rainer und fragt sich, ob es sich nicht in beiden Fällen um eine Art rechter Konzeptkunst handeln könne. Viel anderes gab es noch. Am Ende sind alle Filme alle.

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