: Die Palästinenser sitzen auf dem Trockenen
■ Dank des heißen Sommers herrscht im Westjordanland Wasserknappheit. Nur die Swimmingpools der jüdischen Siedler sind voll. Die Israelis verbrauchen sechsmal soviel Wasser wie die Palästinenser
Bethlehem (taz) – Abu Salim dreht den Wasserhahn auf. Ein paar Tropfen gibt die Leitung her, dann ist es vorbei. Mehrmals am Tag probieren die Einwohner Bethlehems ihr Glück, um ja nicht den Zeitpunkt zu verpassen, an dem das ersehnte Naß in Bad oder Küche plätschert. „Mal kommt Wasser morgens, mal erst am Nachmittag, das weiß niemand genau“, sagt Abu Salim. Im Bad stehen mehrere Eimer mit Wasser. Der Vorrat ist lebenswichtig und preiswert überdies.
Einer der heißesten und trockensten Sommer im Nahen Osten ist vorbei. In Jerusalems Stadtgärten plätschern die Brunnen, die Swimmingpools der israelischen Siedler sind gefüllt. Aber im Süden des Westjordanlandes bleiben die Leitungen trocken. Höchstens zwei bis drei Stunden am Tag gibt es fließendes Wasser. Der sehnlichst erwartete Herbstregen hat noch nicht eingesetzt, die Auffangbecken für Regenwasser sind leer.
Die israelische Besatzung des Westjordanlandes hat viele Gesichter. Eines sieht so aus, daß Israelis dreimal mehr Wasser verbrauchen als Palästinenser, israelische Siedler nach verläßlichen palästinensischen Angaben sogar sechsmal mehr. Zwar hat der Chef der israelischen Wasserbehörde, Ben Meir, eingeräumt, daß es bei der Versorgung von Bethlehem und Hebron mit Wasser ein Problem gebe. Doch offen erklärte er auch: „Wir können nicht hingehen und den Israelis das Wasser abzapfen, um es den Palästinensern zu geben.“ Dabei kommt das meiste Wasser, das Israel verbraucht, aus den unterirdischen Becken des Westjordanlandes.
Laut dem 1994 vereinbarten Oslo-II-Abkommen sollten die Palästinenser 80 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr mehr erhalten. Natürlich ist dieses Versprechen nicht eingehalten worden. Wegen des trockenen Sommers hat Israel keinen Liter Wasser mehr in die palästinensischen Leitungen gepumpt. Der stellvertrende Direktor der palästinensischen Wasserbehörde, Fadil Kawasmeh, beklagt, daß jeder israelische Siedler die fünffache Menge Wasser erhält wie ein Palästinenser. Er räumt allerdings auch ein, daß es „Verlust“ oder „Diebstahl“ auf palästinensischer Seite gibt, der fast die Hälfte des Wasserverbrauchs in diesen Gebieten ausmache. Nicht ganz zu Unrecht macht er allerdings die israelische Wasserbehörde für den Zustand der Leitungen verantwortlich, die diese die Leitungen seit mehr als 28 Jahren unter ihrer Kontrolle hat. Inzwischen sei der Diebstahl an Wasser von über 40 Prozent auf weniger als ein Drittel reduziert worden, sagt Fadil Kawasmeh. So recht glauben will ihm freilich niemand. Vor allem erstaunt die Bewohner Bethlehems sowie des nahe gelegenen Flüchtlingslagers Duheisheh, daß die Oberen der Palästinenser immer noch Wasser erhalten, die Flüchtlinge aber nicht. Die Zuleitung zum Haus des früheren Bürgermeisters Freidsch sei intakt, während sie, die an der selben Linie liegen, kein Wasser hätten, klagen Anwohner.
Mahmud macht immer noch jeden Tag seinen Weg auf dem Esel zu der tropfenden Quelle von Deir Bannah. Hier muß er sich in eine Schlange einreihen, um an Wasser zu kommen. Eine Stunde wartet er, bis sich sein Kanister gefüllt hat. Das Wasser ist umsonst und begehrt, auch wenn die gesundheitliche Qualität dieser Flüssigkeit bislang nicht überprüft ist. Aber nicht jeder kann sich glücklich schätzen, über einen Brunnen in seinem eigenen Garten zu verfügen.
Das Ahli-Krankenhaus in Hebron drohte gar mit Schließung, sollte die Wasserversorgung nicht gewährleistet werden. Besonders angeprangert wurde von palästinensischer Seite der exorbitante Preis für Tankwasser, der sich fast um das Fünffache erhöhte. Die Einwohner der 160 Orte im Westjordanland, die nicht an das israelische Wassernetz angeschlossen sind, mußten Wochen oder gar Monate auf ihre Zuteilung warten. Die Erstversorgung galt den Einwohnern der Städte. Die Zweitversorgung der Dörfer erwies sich als extrem teuer, so teuer, daß das palästinensische Parlament die Situation für debattierenswert hielt und Höchstpreise festsetzte. Die palästinensische Autonomiebehörde ließ es sich nicht nehmen, eine Kommission einzusetzen, die sich um die Überprüfung des Wasserpreises kümmern sollte. Israelische Siedler verkauften selbst Brauchwasser zu erhöhten Schwarzmarktpreisen.
Auch eine Podiumsdiskussion israelischer und palästinensischer Wasserwirtschaftler ergab keine Lösung. Während die Israelis darauf beharrten, daß die Palästinenser das ihnen zugeteilte Wasser stehlen und erst damit die Unterversorgung verursachen, behaupteten Vertreter der palästinensischen Wasserbehörde, daß Israel den Zufluß willkürlich reduziert. Unstrittig ist, daß jeder israelische Siedler pro Tag 300, manchmal auch 400 Liter Wasser verbraucht, während ein Palästinenser in den besetzten Gebieten mit höchsten 50 bis 80 Litern auskommen muß. Aber auch dies gilt nur, wenn keine Wasserknappheit herrscht. Die Kontrolle über das Wasser ist laut den Oslo-Vereinbarungen erst den Abschlußverhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis vorbehalten. Solange müssen die Palästinenser im Westjordanland wohl dürsten. Georg Baltissen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen