: Dinosaurier rund um die Uhr im Einsatz
Die pekuniären Engpässe der Hauptstadt sind hinlänglich bekannt. Ein Besuch in der Verkehrsregelungszentrale überrascht dennoch: Das Computersystem der Metropole ist notorisch überaltert ■ Aus Berlin Jutta Wagemann
Wie gut, daß die wandfüllende Karte mit den Blinklichtern die Blicke auf sich zieht. Denn sonst fielen sie womöglich auf den gammeligen Teppichboden, auf die abgesessenen braunen Bürostühle oder die Dinosaurier-Computer. Der 50 Quadratmeter große Raum ist eine der wichtigsten Schaltzentralen Berlins. Wenn hier, am Rande von Kreuzberg, die Technik zusammenbricht, geht auf den Berliner Straßen bald nichts mehr – denn die Verkehrsregelungszentrale wacht über die rund 2.000 Ampeln in der Hauptstadt.
Es hupt laut, links oben auf der Wandkarte blinkt ein rotes Lämpchen. In Tegel ist eine „Lichtzeichenanlage“ gestört, das sehen die vier Polizisten und drei Angestellten in der Zentrale sofort. Ein Blick auf einen ihrer Bildschirme sagt ihnen auch, wo genau. Es ist halb acht, und die kaputte Ampel steht ausgerechnet an einem Schulweg. Gemütlich zu warten, bis ein Techniker wieder für reibungsloses Rot-Gelb-Grün sorgt, ist in diesem Fall unmöglich. „Dann können wir nur einen Posten rausschicken“, erklärt der Leiter der Verkehrsregelungszentrale, Polizeihauptkommissar Jürgen Schulze. Die Polizeidienststellen vor Ort müssen ein oder zwei ihrer Beamten für die Kreuzung abstellen, die dann, wie vor achtzig Jahren, per Handzeichen den Verkehr regeln.
Begeistert über solche Aufgaben sind die Polizeistellen nicht. Ihr Personal ist ohnehin knapp. Die zusätzliche Aufgabe bedeute häufig, sagt Schulze, „daß ein Streifenwagen stillgelegt werden muß“. Es sei daher auch im Sinne ihrer Kollegen, wenn die Ampel möglichst schnell repariert werde.
Nicht immer jedoch, wenn eine Störung gemeldet wird, ist auch die Ampel komplett ausgefallen. In der Kreuzberger Zentrale laufen Störungen aller Art ein. Wenn die Blindenampel nicht mehr piept, das Rotlicht von Spaßvögeln mit Farbe besprüht wurde oder ein Glas an der Ampel zersplittert ist, müssen die Beamten Abhilfe schaffen. Moderne Ampeln, die mit Mikroprozessoren ausgerüstet sind, laufen zudem auch ohne die technische Verbindung zur Zentrale weiter. Wirklich problematisch seien allerdings die alten Ampeln im Ostteil der Stadt, erläutert Schulze. 8.000 Kilometer Kabel hätten sie seit der Wende im Osten verlegt. Es werde aber weitere zehn Jahre dauern, bis alle Anlagen technisch mit „Gebietsrechnern“ verknüpft seien.
Alptraum Staatsbesuch
Den insgesamt 28 Mitarbeitern der Verkehrsregelungszentrale, die im Schichtdienst 24 Stunden im Einsatz sind, macht jedoch auch die veraltete Ausstattung die Arbeit unnötig schwer. Die Computer sind 19 Jahre alt und so langsam, daß ein Beamter in der Regel mit zwei Geräten parallel arbeitet, um schnell genug auf Störungsmeldungen reagieren zu können. Auch spezielle Ampelschaltungen, etwa für Demonstrationen, seien nur so zu bewältigen, klagt Schulze. Nur auf Vorfahrtsstraßen ist es möglich, Ampeln auf grüne Welle zu schalten. Biegt ein Demonstrationszug jedoch ab, gibt es schon Probleme. Dann muß die Polizei die Ampeln an einer Kreuzung so lange ausschalten, bis der letzte Demonstrant samt dem Polizeiauto am Schluß die Stelle passiert haben.
„Das ist ein absolut desolater Zustand“, kritisiert auch Udo Korgitzsch von der Verkehrsverwaltung. Seit Jahren werde nur noch geflickt, obwohl eine komplette Neuausstattung der Zentrale nötig sei. Besserung ist jedoch in Sicht. Nachdem sich Berliner Abgeordnete aller Fraktionen vor Ort von der „Dependance des Verkehrsmuseums“, so Alexander Kaczmarek (CDU), überzeugt hatten, werden im Haushalt für das kommende Jahr zwölf Millionen Mark bereitgestellt für eine neue Hardware. Der Haushalt ist zwar noch nicht beschlossen, am Posten für die Verkehrsregelungszentrale wird aber wohl niemand rütteln. Auf dieses Geld wartet die Polizei schon lange. Mit der Haushaltssperre 1996 war auch die Finanzierung der neuen Zentrale gestoppt worden. Dabei sollte sie schon vor zehn Jahren für 40 Millionen Mark neu gebaut werden. Dann kam jedoch die deutsche Einheit samt 800 zusätzlicher Ampeln – und aus dem Neubau wurde wieder nichts. Nervös blicken die Verkehrsregler auf das kommende Jahr. Man stelle sich vor: Außenminister Fischer sitzt mit der US-amerikanischen Chefdiplomatin Albright in seiner Limousine, acht weiße Mäuse, zwei Polizeiautos voraus, mindestens ebenso viele dahinter. Die Kolonne will links abbiegen und muß stoppen: leider herrscht Gegenverkehr. Ein Alptraum für Sicherheitsexperten.
Mit ihrer Uralt-Technik ist es für die Verkehrsregler ein kompliziertes Unterfangen, Straßen zu räumen. Zudem führt die Protokollstrecke vom Flughafen Tegel ausgerechnet über den Kreisverkehr an der Siegessäule und die sechsspurige Straße des 17. Juni zum Brandenburger Tor – Straßen mit lebhaftem Verkehr. Mit der Neuausstattung der Verkehrsregelungszentrale ist die Berliner Politik spät dran. Jetzt verkündete Gerhard Schröder auch noch, spätestens im April seinen Amtssitz nach Berlin zu verlagern. In der Verkehrsregelungszentrale wird es bestimmt nicht langweilig werden.
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