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Wohnheimen fehlen die Flüchtlinge

■ Weil nach der Verschärfung des Asylgesetzes nur noch wenige Flüchtlinge nach Berlin kommen, werden Wohnheime geschlossen. Bewohnergruppen werden auseinandergerissen

Weil immer weniger Flüchtlinge und AsylbewerberInnen in Berlin leben, müssen immer mehr Wohnheime geschlossen werden. Anfang des Jahres verwaltete die Senatsverwaltung für Soziales noch 16.000 Heimplätze, im Oktober waren es nur noch etwas über 12.300. Anfang 1997 gab es noch 10.000 Plätze mehr als jetzt. Das hat häufig auch soziale Folgen für die Flüchtlinge. Denn wenn Heime geschlossen werden, werden die dort noch wohnenden Flüchtlinge auf andere Heime verteilt und somit aus ihren gerade erst gewachsenen Strukturen gerissen.

Allein das Deutsche Rote Kreuz (DRK) mußte in diesem Jahr bereits vier Heime aufgeben, weil die Verträge mit der Senatsverwaltung ausgelaufen sind. Ein fünftes, am Tempelhofer Ufer in Kreuzberg, wird Anfang Dezember zumachen. „Es gibt keinen Bedarf mehr wegen der verschärften Asylgesetzgebung“, begründet DRK-Sprecherin Susanne Arabi die Schließungen. Bisher habe es keine betriebsbedingten Kündigungen der MitarbeiterInnen gegeben. Würden aber weitere Häuser aufgeben, so Arabi, seien Kündigungen nicht auszuschließen.

Uwe Götting, bei der Senatsverwaltung zuständig für die Unterbringung von AsylbewerberInnen und Flüchtlingen, begründet die Schließung damit, daß immer weniger AsylbewerberInnen in die Stadt kämen, immer mehr bosnische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehrten und AussiedlerInnen verstärkt in Wohnungen statt in Heime zögen. Ende 1997 bezogen rund 34.000 Personen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, drei Viertel von ihnen stammten aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Die verbleibenden Flüchtlinge in den Wohnheimen werden nach den Schließungen in andere Heime „in der ganzen Stadt“ verteilt, so Götting. „Dort, wo Plätze freigeworden sind, kommen sie hin.“ Das kann in der Innenstadt, aber auch in Spandau sein. Für die HeimbewohnerInnen, die meist sehr kurzfristig von dem Heimwechsel erfahren, ist der Umzug meist eine große Belastung: In einem Neuköllner DRK-Heim in der Gutschmidtstraße lebte eine Gruppe traumatisierter Flüchtlinge, die nicht getrennt werden wollte. Erst nach massiven Einwänden der Neuköllner Grünen wurde die Gruppe geschlossen in ein Heim nach Lichtenberg verlegt. „Es war sinnvoll, das Heim zu schließen, da es sehr marode war“, so Hans Schulze von den Neuköllner Grünen. Es müsse jedoch unbedingt darauf geachtet werden, daß Familien und Gruppen nicht auseinandergerissen werden.

„Das ist eine subjektive Belastung für die Leute“, räumt auch Uwe Götting ein. Jedoch achte man darauf, daß Familien zusammenbleiben könnten. Ein weiteres Problem ist der Schulwechsel: Für Flüchtlingskinder sei es häufig sehr schwierig, sich in den neuen Schulbetrieb einzugewöhnen, hat eine Lehrerin, die mit Kindern aus dem Heim am Tempelhofer Ufer zusammenarbeitet, beobachtet. „Die Kinder, die eine intensive Betreuung brauchen, sollten auf jedem Fall auf der gleichen Schule bleiben“, fordert sie.

Doch daß die Flüchtlinge im gleichen Bezirk bleiben können, daran ist der Senat in bezug auf das Heim am Tempelhofer Ufer nicht interessiert. Kreuzberg liege im Sozialstrukturatlas ganz hinten, sagt Götting. Durch jede Heimschließung würden daher „die sozialen Belastungen des Bezirks entzerrt“. Die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sieht das etwas anders: Sie hält Wohnheime grundsätzlich für eine „zweifelhafte Notlösung“. Über die HeimbewohnerInnen am Tempelhofer Ufer habe sie aber noch nie etwas „Negatives“ gehört, sie seien sehr unauffällig. Julia Naumann

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