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Moral verkauft sich nicht

■ Heute entscheidet die evangelische Kirche über die Zukunft des einstmals ehrwürdigen "Sonntagsblatts". Schon wird die Wochenzeitung mehr und mehr zum "Fachblatt für Ethik"

Normalerweise ist die westfälische Bischofsstadt Münster fest in katholischer Hand. Doch derzeit hat die Konkurrenz das Sagen. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), so etwas wie der kirchliche Bundestag, konferiert und wird heute über das Schicksal der renommierten Wochenzeitung Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt(DS) entscheiden. Vor genau 50 Jahren mit 150.000 verkauften Exemplaren gestartet, waren es 1995 noch 90.000, heute stagniert der Verkauf bei knapp 46.000. „Zuwenig, um kostendeckend arbeiten zu können“, weiß auch Tim Schleider, der stellvertretende Chefredakteur.

Neun Millionen Mark Zuschuß jährlich läßt sich die evangelische Kirche deshalb ihr Renommierblatt kosten. Wie lange noch, ist völlig offen. Klar ist nur, das Blatt wird sich verändern. Denn im Rat der EKD, also der Kirchenleitung, hat sich eine Arbeitsgruppe mit der DS befaßt und „wird eine Fortführung der Zeitung nicht empfehlen“, so Synodensprecher Hans Schöb. Besonders quer im Magen liegt den Funktionären, daß kaum jemand noch die Zeitung kennt, die früher einmal in jeden Pressespiegel gehörte. „Die werden einfach zuwenig wahrgenommen“, bemängelt EKD-Referent Robert Mehlhose, einer der Autoren des Prüfberichtes.

Kein ganz neues Problem. Der Wochenzeitungsmarkt ist voll besetzt, auch die eingeführten Blätter großer Verlage wie Platzhirsch Zeit und Newcomer Woche haben Probleme – der kleine Freitag ohnehin. Außer dem tiefkonservativen katholischen Rheinischen Merkur sind sie wie das Sonntagsblatt alle mehr oder weniger linksliberal. So fehlt dem ehrwürdigen Kirchenblatt die Position am Markt. Um am Kiosk überhaupt bemerkt zu werden, hatte man vor einigen Jahren Layout und Format auf modern getrimmt, seit einigen Monaten erscheint man in Farbe.

Alles half nichts: Manch alter Leser war verschreckt, neue kamen nicht, und die Auflage stürzte weiter. Viele Exemplare versauern zudem in kirchlichen Institutionen, die nur aus Gewohnheit noch ein Abo halten. Publizistische Wirkung, für die die Kirche die Millionen schließlich zahlt, will so nicht zustande kommen.

Ein Aus für die Zeitung muß der EKD-Bericht dennoch nicht bedeuten. Denn welche Konsequenzen zu ziehen sind, hat die Arbeitsgruppe nicht verraten. „Möglich ist alles“, spekuliert EKD- Sprecher Schöb, „sowohl die Einstellung der Zeitung als auch eine gehörige Aufstockung des Etats.“ Die wäre der Redaktion natürlich am liebsten. Dort gibt man sich, zumindest nach außen hin, gelassen und wartet die Entscheidung ab.

Den Ergebnissen der Arbeitsgruppe kann Vizechef Schleider sogar zustimmen. „Denn so geht es tatsächlich nicht weiter.“ Weil das Personal in den letzten Jahren um 25 Prozent ausgedünnt wurde, arbeitet die „Belegschaft an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit“, glaubt der DS-Mann. Außerdem fehle Geld für Werbung, damit die Leserschaft besser erreicht werden könne. Die ortet er mittlerweile, wohl mit Blick auf die Synodenentscheidung, „bei Leuten, die sich speziell für Kirche und Religion interessieren“. Gerade konservative Kirchenfunktionäre mahnen immer wieder eine christlichere Ausrichtung an. Und seit Jahren streiten sich die Funktionäre, ob die Kirchenmedien eher gesellschaftspolitisch wirken oder sich mit Religion und Seelsorge bescheiden sollen.

Beim Sonntagsblatt scheint die Mäkelei inzwischen Erfolge zu zeitigen. Mitte der achtziger Jahre stand die Zeitung mit an der Spitze der Friedens- und Antikernkraftbewegung. Daß es sich dabei um ein kirchliches Blatt handelte, merkte nur, wer danach suchte. Heute finden sich zunehmend religiöse Texte oder Reportagen zum Thema „100 Jahre Diakonie“ im Blatt. Dennoch steht trotz der finanziellen und inhaltlichen Probleme das DS immer noch für inspirative, gutgeschriebene Texte.

Seit dem Relaunch wird auch mehr diskutiert im Blatt. Debatten wie das Für und Wider eines Militäreinsatzes in Bosnien werden nicht in Leserbriefen versteckt, sondern auf eigens eingerichteten Debattenseiten ausgefochten. „Wir wollen das Fachblatt für Ethik und Moral sein“, hat dennoch Chefredakteur Arnd Brummer 1995 angekündigt. Das zumindest ist gelungen.

Weiterhin ist überdies fraglich, wie es mit der evangelischen Publizistik insgesamt weitergeht. 200 Millionen Mark jährlich kostet das undurchsichtige Geflecht von christlichen Pressediensten, Journalistenschulen, Kirchenblättern und Fernsehproduktionsfirmen, das allerdings auch anerkannte Fachblätter wie die epd-Medien und epd-Film beherbergt. Viel zuviel, meint die Synode jedes Jahr aufs neue und kürzt fast schon turnusmäßig die Mittel. 1,4 Millionen waren es in den letzten beiden Jahren, 10 Prozent im nächsten. „Die Standardkürzung für alle“, versucht Mehlhose zu beschwichtigen. Ein Problem ist, daß die klammen Landeskirchen lieber ihre eigenen Medienreiche päppeln, als die zentrale Frankfurter Medienholding GEP („Gemeinschaftswerk evangelischer Publizistik“), weil sie auf die regionalen Kirchenblätter und die Landesbüros der Nachrichtenagentur epd einfacher Einfluß nehmen können.

Der EKD-Mann kann der Not auch gute Seiten abgewinnen: „Die Redaktionen der einzelnen Blätter reden mehr miteinander“, freut er sich. Neuerdings reden auch die Kirchenpublizisten auffällig oft von „Markt“ und Marketing, und das GEP soll nächstes Jahr wahrscheinlich in eine GmbH umgewandelt werden. Dem von der Firma unabhängigen Sonntagsblatt wird das alles nicht helfen. Dort kann man vorerst nur hoffen. Martin Busche

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